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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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aussieht, als hätte er gerade erst einen Herzinfarkt hinter sich. Es gibt Möglichkeiten,
     mit absoluter Sicherheit festzustellen, ob ein Patient tatsächlich einen Infarkt hatte oder nicht, doch diese Tests sind langwierig
     und teuer. Aber ein Arzt, der einen Patienten mit Schmerzen in der Brust vor sich hat und dem eine Warteschlange von 100 weiteren
     Patienten im Nacken sitzt, hat keine Zeit für diese Diagnose. Er muss also so viele Informationen wie möglich sammeln und
     dann eine Einschätzung abgeben.
    |132| Das Problem ist natürlich, dass eine solche Einschätzung nicht sonderlich genau ist. Ganz zu Anfang seiner Umstrukturierungsmaßnahmen
     im Cook County Hospital ließ Brendan Reilly 20 typische Fallgeschichten von Patienten mit Schmerzen in der Brust zusammenstellen
     und sie von verschiedenen Ärzten – Kardiologen, Internisten, Notärzten und Stationsärzten – auswerten. Anhand dieses Experiments
     wollte er feststellen, inwieweit die Diagnosen dieser Experten übereinstimmen würden. Dabei machte Reilly eine überraschende
     Feststellung: Bei der Auswertung derselben Daten kamen die Ärzte zu den unterschiedlichsten Diagnosen. Die Antworten deckten
     das gesamte Spektrum der Möglichkeiten ab: Ein und derselbe Patient wäre von einem Arzt als kerngesund nach Hause geschickt
     und von einem anderen in die Intensivstation eingewiesen worden. »Wir baten die Ärzte, auf einer Skala von 0 bis 100 die Wahrscheinlichkeit
     einzuschätzen, mit der ein bestimmter Patient einen akuten Herzinfarkt erlitten hatte und mit der in den kommenden drei Tagen
     lebensbedrohliche Komplikationen auftreten würden«, berichtet Reilly. »In all diesen Fällen lagen die Ergebnisse auf der gesamten
     Skala zwischen 0 und 100. Es war erstaunlich.«
    Jeder der Ärzte nahm natürlich an, er habe gute Gründe für sein Urteil. In Wirklichkeit sah die Diagnose eher wie ein Ratespiel
     aus, und Raten ist natürlich keine verlässliche Diagnosemethode. Je nach Klinik werden in den USA zwischen 2 und 8 Prozent
     der Patienten, die tatsächlich einen Herzinfarkt erlitten haben, nach Hause geschickt, weil der Arzt in der Aufnahme sie als
     gesund diagnostiziert hat. Noch häufiger kommt es jedoch vor, dass Ärzte eine übervorsichtige Diagnose stellen und einen gesunden
     Patienten vorsichtshalber einweisen. Solange auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass jemand einen Infarkt erlitten
     hat, sollte man kein Risiko eingehen, so die Devise.
    »Nehmen wir an, es kommt ein Patient in die Notaufnahme und klagt über starke Schmerzen in der Brust«, sagt Reilly. »Er ist
     alt, er raucht, er hat hohen Blutdruck. Es kommen eine Menge |133| Dinge zusammen, die Sie zu dem Schluss kommen lassen: Klar, der hat’s am Herzen. Aber nach der Untersuchung stellen Sie fest,
     dass sein EKG völlig normal aussieht. Was machen Sie? Sie sagen sich wahrscheinlich, das ist ein alter Herr mit einer Reihe
     Risikofaktoren, der über Schmerzen in der Brust klagt. Ich verlasse mich besser nicht auf das EKG.« In den letzten Jahren
     hat sich das Problem verschärft, da die Menschen dank der Informationsarbeit der Mediziner so gut über Herzinfarkte aufgeklärt
     sind, dass sie nun bei den kleinsten Anzeichen von Schmerzen in der Brust in die Notaufnahme kommen. Schließlich haben Ärzte
     immer mehr Angst davor, wegen eines Behandlungsfehlers verklagt zu werden, und weisen deshalb vorsichtshalber lieber zu viele
     als zu wenige Patienten ein. Das Ergebnis ist, dass heutzutage nur rund 10 Prozent der Patienten, die mit Verdacht auf Herzinfarkt
     in die Intensivstation aufgenommen werden, auch tatsächlich einen Infarkt hatten.
    Das war Reillys wirkliches Problem. Er war nicht mehr in Dartmouth oder einem der luxuriösen Privatkrankenhäuser im Norden
     Chicagos, in denen Geld keine Rolle spielt. Er war in Downtown Chicago und musste seine Pfennige zusammenhalten. Er konnte
     es sich nicht leisten, dass das Krankenhaus jedes Jahr mehr Zeit und Geld auf Infarktpatienten verwendete, die gar keine waren.
     Ein Bett auf der Intensivstation der Herzabteilung des Krankenhauses kostet rund 2 000 US-Dollar pro Nacht, und ein typischer
     Patient mit Schmerzen in der Brust bleibt drei Tage, auch wenn ihm in diesem Moment womöglich gar nichts fehlt. Kann man so
     ein Krankenhaus führen? fragten sich die Ärzte vom Cook County Hospital.
    »1996 hat sich die Situation noch verschärft«, berichtet Reilly. »Wir hatten einfach nicht genug Betten, um all

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