Blink! - die Macht des Moments
Dartmouth College begonnen, einem hübschen, modernen
Krankenhaus in der idyllischen Hügellandschaft von New Hampshire. West Harrison Street war eine völlig andere Welt. »Mein
erster Sommer in Chicago war der von 1995. Damals gab es in Chicago eine Hitzewelle, Hunderte von Menschen sind gestorben,
und das Krankenhaus hatte keine Klimaanlage«, erinnert er sich. »In den Krankenzimmern hatten wir zum Teil über 45 Grad. Stellen
Sie sich vor, Sie müssen das als Patient aushalten. Ich habe als Erstes die Verwaltungsleiterin an der Hand genommen und sie
in einen der Säle geführt. Sie hat es genau acht Sekunden lang ausgehalten.«
|130| Reilly sah sich einer schier endlosen Liste von Problemen gegenüber. Besonders katastrophal war die Lage in der Notaufnahme.
Weil so wenige der Patienten eine Krankenversicherung hatten, meldeten sie sich alle in der Notaufnahme, und wer schlau war,
kam frühmorgens und brachte ein paar Stullen mit. Lange Warteschlangen zogen sich durch die Gänge. Die Räume waren überfüllt.
Jedes Jahr kamen sage und schreibe 250 000 Patienten durch die Notaufnahme ins Cook County Hospital.
»Meistens hatte ich schon große Schwierigkeiten, auch nur durch den Gang zu laufen«, erinnert sich Reilly. »Die Patienten
stapelten sich regelrecht. Wir fragten uns dauernd, wie wir uns bloß um all diese Leute kümmern sollten. Die Behandlungsbedürftigen
wurden ins Krankenhaus überwiesen, aber damit gingen die Probleme erst los. Eine Klinik ist ein System mit begrenzten Kapazitäten.
Wie finden Sie heraus, wer ambulant behandelt und wer aufgenommen werden soll? Wie können Sie sicherstellen, dass Sie Ihre
geringen Kapazitäten denjenigen zukommen lassen, die sie am meisten benötigen?« Viele der Patienten litten an Asthma, denn
Chicago hat eine der höchsten Asthmaquoten in den gesamten Vereinigten Staaten. Also entwickelte Reilly mit seinen Mitarbeitern
bestimmte Ablaufpläne, um Asthmatiker effizient zu behandeln, und einen weiteren Ablaufplan für Obdachlose.
Von Anfang an war Reillys wichtigste Frage, wie man am besten mit Herzinfarktpatienten umgehen konnte. Eine relativ große
Zahl von Patienten – im Schnitt rund dreißig pro Tag – kamen in die Notaufnahme, weil sie befürchteten, sie hätten einen Herzinfarkt
gehabt. Und diese 30 nahmen mehr Betten und mehr Zeit der Krankenschwestern und Ärzte in Anspruch, und sie blieben länger
als die anderen. Patienten mit Schmerzen in der Brust banden große Kapazitäten. Der Ablaufplan für die Untersuchung war lang
und kompliziert, und am schlimmsten war es, dass er keine eindeutigen Ergebnisse lieferte.
Ein Patient kommt in die Notaufnahme und klagt über Schmerzen in der Brust. Eine Krankenschwester misst seinen Blutdruck. |131| Ein Arzt hört den Brustkorb mit einem Stethoskop ab und horcht, ob der Patient Flüssigkeit in der Lunge hat – ein sicheres
Zeichen, dass das Herz Schwierigkeiten hat, mit dem Pumpen nachzukommen. Er stellt eine Reihe von Fragen: Wie lange haben
Sie diese Schmerzen in der Brust schon? Wo genau tut es weh? Haben Sie besondere Schmerzen bei Anstrengungen? Hatten Sie früher
schon einmal Herzbeschwerden? Haben Sie einen hohen Cholesterinspiegel? Nehmen Sie Arzneimittel oder Drogen? Haben Sie Diabetes?
(Denn es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Herz- und Zuckererkrankungen.) Danach rollt eine Technikerin einen kleinen
Apparat von der Größe eines Laserdruckers herein. Sie klebt Saugnäpfchen an bestimmte Stellen des Oberkörpers und der Arme
des Patienten und befestigt ein Kabel an jedem dieser Saugnäpfe. Damit wird die elektrische Aktivität des Herzens gemessen
und auf einer Grafik ausgedruckt: Das ist das Elektrokardiogramm (EKG). Zumindest theoretisch erzeugt ein gesundes Herz ein
ganz bestimmtes und konstantes Muster, das ein bisschen aussieht wie eine Bergkette. Wenn der Patient Herzprobleme hat, dann
verändert sich dieses Muster. Wo sonst ein Hügel ist, erscheint mit einem Mal ein Tal. Linien, die geschwungen sein sollten,
sind plötzlich flach oder zackig. Wenn der Patient tatsächlich einen Herzinfarkt erlitten hat, dann sollte das EKG eines von
zwei eindeutig erkennbaren Mustern aufweisen. Das Schlüsselwort ist »sollte«: Das EKG ist nämlich alles andere als ein verlässlicher
Indikator. Es kommt vor, dass ein Patient mit ernsthaften Herzproblemen ein völlig normal aussehendes EKG hat, während das
EKG eines kerngesunden Patienten so
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