Blitz der schwarze Hengst
Blitz bewegte sich unruhig. »Alles ist neu für dich, gewiß, aber es ist
gar nicht so schlimm, wenn man sich daran gewöhnt hat.«
Blitz stieß mit der Nase an Alecs Brust. Alec
holte Zucker hervor und reichte ihn ihm. Er wartete, bis der wilde Ausdruck aus
den Augen des Hengstes gewichen war.
Dann ergriff er die Halfter und führte ihn zur
Tür. Der Polizist wich zur Seite. Blitz stieg wieder, als er abermals die
Lichter und die Menschenmenge sah. Alec machte schnell mit ihm kehrt und
brachte ihn zur Box zurück.
Der Polizist gab ihm einen Rat: »Zieh deinen
Pullover aus, Junge, und verbinde ihm damit die Augen.«
»Ein guter Gedanke!« versetzte Alec. Rasch zog
er seinen weißen Pullover aus. Er führte Blitz zu einer Kiste und stieg darauf,
so daß er an seine Augen gelangen konnte. Er legte den Pullover zusammen und
verband dem Hengst damit die Augen, wobei er darauf achtete, einen festen
Knoten zu machen. Der Hengst ruckte mit dem Kopf und versuchte, die Binde
loszuwerden. Er bäumte sich halb. Alecs beschwichtigende Hand und Stimme
beruhigten ihn.
Zum drittenmal führte er ihn zur Tür. Als sie
dort auftauchten, stieß die Menge Begeisterungsrufe aus. Vorsichtig führte er
den Hengst über den Laufsteg. Er sah, daß das Pferd die Ohren spitzte und dann
flach an den Kopf legte. Sein Atem ging stoßweiße. Es schüttelte den Kopf und
bäumte sich wieder halb. Alec faßte mit beiden Händen die Halfter; doch als ihm
einfiel, wie er vorhin in die Luft gehoben worden war, nahm er die Linke weg
und ergriff damit den Strick, der an der Halfter befestigt war. Er warf einen
Blick auf den Kai; es kam ihm vor, als wären Tausende von Gesichtern auf ihn
gerichtet.
Mitten auf dem Laufsteg stieg Blitz erneut in
die Luft, und wieder fühlte Alec keinen Boden mehr unter den Füßen. Er gab die
Halfter frei und ließ den Strick durch die Hände gleiten. Der Hengst stieg
hochauf, und als er herunterkam, wich Alec den Vorderhufen aus. Mit blassem
Gesicht packte er das Seil höher und führte Blitz weiter. Noch ein paar Meter,
und sie befanden sich auf dem Kai. Die Menge strebte schnell beiseite, um dem
Hengst nicht in den Weg zu geraten.
Auf dem Kai bot Blitz einen prachtvollen
Anblick. Er bewegte sich leichtfüßig; er warf den Kopf zurück, um die Binde
loszuwerden, und seine Mähne flatterte im Winde. Alecs weißer Pullover bildete
einen scharfen Gegensatz zu dem kohlschwarzen Pferdeleib. Er gewöhnt sich
allmählich an den Lärm, dachte Alec; aber er lockerte seinen Griff an der
Halfter keine Sekunde.
Plötzlich hörte er die Stimme seines Vaters: »Alec,
Alec, wir sind hier!« Er wandte den Kopf und sah seine Eltern am Rande der
Menschenmenge stehen — der Vater war so groß und dünn wie eh und je, die Mutter
klein und rundlich. Ihre Gesichter waren fast so weiß wie Alecs Pullover über
den Augen des Rappen. Alec ging auf sie zu; doch da fiel ihm der Hengst ein,
denn er sah, daß die Mutter ängstlich den Arm des Vaters faßte. In einiger
Entfernung von ihnen blieb er stehen.
»Guten Tag, Mutter, guten Tag, Vater«, war
alles, was er herausbrachte, obwohl ihm das Herz voll war. Er merkte, daß seine
Mutter geweint hatte. Er nahm das Ende des Strickes in die Hand, um Spielraum
zu haben, lief auf die Eltern zu und umarmte sie.
»Es ist schön, dich wiederzusehen«, sagte der
Vater nach einer Weile.
»Es ist schön, wieder daheim zu sein«,
antwortete Alec.
Seine Mutter lächelte.
Blitz bewegte sich unruhig neben ihm. Alec
schaute ihn an und dann seine Eltern. »Er gehört mir«, verkündete er stolz.
»Das befürchtete ich, als ich euch sah«,
erwiderte sein Vater. Die Mutter brachte vor Verwunderung kein Wort hervor. Der
Vater musterte den Hengst. Er hatte früher viel geritten, und von ihm hatte
Alec schon als kleines Kind die Liebe zu Pferden gelernt. Er sagte nichts; aber
Alec spürte, daß er den Rappen bewunderte.
»Ich erzähle euch später alles. Ich verdanke ihm
mein Leben.«
Die Mutter schien sich gefaßt zu haben. »Er ist
aber gefährlich, Alec, er hat dich ja umgeworfen...« Sie stockte verwirrt, als
sie die gelassene, selbstbewußte Miene des Knaben gewahrte, der das Pferd festhielt.
Das konnte doch nicht ihr Sohn sein, der Bub, der sie vor fünf Monaten
verlassen hatte!
»Was hast du denn mit ihm vor?« fragte der
Vater.
»Ich weiß noch nicht; aber ich weiß, wo ich ihn
unterbringen kann!« Alec sprudelte die Worte hervor. Es war ihm klar, er mußte
seine Eltern auf der Stelle
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