Blitze des Bösen
Ganz bestimmt hatte er das nicht
getan, er konnte es einfach nicht getan haben! Es war nur ein
Traum gewesen!
Oder verlor er doch allmählich den Verstand?
Als Anne das Haus betrat, saßen Heather und Rayette noch
immer auf dem Sofa. Heather schluchzte leise, und ihre
Freundin gab sich alle Mühe, ihr Trost zu spenden.
Kevin war nirgendwo zu sehen, aber Anne war ganz sicher,
wo er steckte: oben in seinem Zimmer, von wo aus er zusah,
wie Lois Ackerly und Mark Blakemoor ihre Arbeit beendeten.
Weil sie wußte, daß bei Heather jetzt ohnehin jedes Wort
vergebens war, ging Anne in ihr Arbeitszimmer und ließ sich
verdrossen in den Stuhl vor ihrem Computer fallen.
Einen Moment lang saß sie einfach nur da, ihre Augen
schauten ins Leere; wie betäubt versuchte sie, alle Ereignisse
dieses Tages auf die Reihe zu bringen: der nutzlose Versuch,
Sinn in etwas Sinnlosem zu finden.
Schreib’s auf, sagte sie sich schließlich, als ihre Gedanken
chaotisch durcheinandergerieten. Schreib alles auf. Das ist die
einzige Möglichkeit, die Gedanken zu ordnen.
Sie schaltete den Computer ein und wartete, bis er hochgefahren war und die Auto-Exec-Datei startete. Dann erschien
das vertraute Bild des Windows-Programms. Aber sie brauchte
keine Befehle einzugeben, der Computer arbeitete allein
weiter.
Ihr Textverarbeitungsprogramm wurde geöffnet, und es
erschien eine gerahmte Nachricht auf dem Bildschirm:
»Zu schade um die Katze.
Manche Experimente klappen einfach nicht.
Dann sterben die Objekte.
Ich versuche es lieber mit dir.«
Kurz nachdem Anne die Worte registriert hatte, waren sie
auch schon wieder verschwunden. Einen Moment lang fragte
sie sich, ob sie die Nachricht wirklich gesehen hatte.
Die Angst, von der sich ihre Magennerven zusammenzogen,
war der Beweis, daß es so gewesen war.
41. Kapitel
Im Zeitungskasten vor dem 7-Eleven-Gebäude lagen die
Morgenausgaben des Herald bereit, und er brauchte nicht zum
nächsten Laden zu gehen, um sich eine Zeitung zu kaufen. Als
er vor dem Kasten stand, fing sein Herz bei dem Gedanken,
was auf der Titelseite stehen mußte, zu hämmern an.
Gleichzeitig überfiel ihn jedoch Furcht. Was wäre, wenn ihn
nun jemand beobachten würde?
Er schaute sich um, bedauerte das aber im gleichen Moment:
schon diese unscheinbare Bewegung könnte aufmerksamen
Blicken seine Nervosität verraten haben.
Die ganze Nacht über hatte er sich von derartigen Blicken
verfolgt gefühlt. Wie oft war er aufgestanden, um auf die
Straße zu sehen, wo er nur einen Streifenwagen patrouillieren
sah!
Fuhren die nur dort herum, weil schon zwei Morde in
Capitol Hill verübt worden waren?
Oder suchten sie nach ihm? Nach dem Schlächter.
Der Name war ihm letzte Nacht eingefallen, als er überlegte,
was Anne Jeffers wohl über ihn schreiben würde. Er hatte bis
jetzt zwei Morde begangen, und deshalb würden sie ihm
vielleicht einen Spitznamen geben. Es gab bereits den Sohn
von Sam, den Würger von Boston, den Green-River-Mörder.
Richard Kraven hatte jedoch nie einen Spitznamen gehabt, und
das war gut so.
Würde man ihm einen geben, bedeutete das, daß er sogar
noch höher im Kurs stünde als Richard Kraven.
Er war der Schlächter.
Dieser Name strahlte eine Kraft aus, die ihm gut gefiel.
Vielleicht sollte er Anne Jeffers morgen eine Nachricht
zukommen lassen und mit diesem Namen unterzeichnen. Dann
würde in ein, zwei Tagen dieser Name in Seattle in aller
Munde sein.
Der Schlächter.
Diese Überlegung hatte ihn die ganze Nacht wachgehalten,
und er hatte Gefallen daran gefunden. Dann war es endlich
Morgen geworden.
Morgen – damit war es Zeit für die neueste Ausgabe des Herald. Er wäre gerne schon längst vor der Dämmerung aufgestanden, doch bei den vielen Polizeiwagen, die unterwegs
waren, war ihm das als viel zu riskant erschienen. Also hatte er
bis zum Schichtwechsel im Krankenhaus gewartet, weil dann
viele Menschen auf der Straße unterwegs sein würden.
Aber jetzt war es zu spät, um hier eine Zeitung zu kaufen. Zu
spät und zu gefährlich – vor allem, weil er sich umgedreht und
damit allen, die ihn beobachten könnten, seine Nervosität
verraten hatte. Jetzt mußte er bis zur 15. Straße laufen.
Im Einkaufszentrum dort war der Schlächter schon oft
gewesen. Es störte ihn auch nicht der Gedanke, daß ihn jemand
sehen und fragen könnte, warum er nicht bei der Arbeit war. Er
wußte, daß er nach der schlaflosen Nacht nicht besonders gut
aussah. Er hätte geantwortet, er
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