Blood and Chocolate - Curtis Klause, A: Blood and Chocolate - Blood and Chocolate
sie nicht ertragen. Sie konnte sich dem Rudel nicht stellen.
Es gab nur eine Lösung, um ihre Familie, das Rudel, zu schützen.
Sie würde sich umbringen müssen.
Einen Augenblick schien sämtliche Atemluft aus ihrem Körper zu entweichen. Die Zeit stand still. Das war die Lösung. Es war so kristallklar, dass es wie Eiswasser schmerzte, und sich ihr Gehirn kalt, starr und hellwach anfühlte.
Doch wie verübte ein Werwolf Selbstmord?
Silberkugeln , dachte sie und schnaubte verächtlich. Sicher, die lagen ja auch ständig griffbereit im Haus herum.
Sie stand am Fenster und atmete den Duft ihrer letzten Nacht auf Erden ein. Es muss schnell gehen , entschied sie – sie musste einen Weg finden, der keine Zeit ließ, in letzter Sekunde doch noch zu kneifen -, und es musste ihr entweder das Rückgrat durchtrennen oder so viel Schaden verursachen, dass sie sich nicht der Wandlung bedienen konnte, um zu heilen.
Erhängen war eine Möglichkeit, aber man musste es richtig anstellen, damit der Sturz einem das Genick brach; wenn nicht, wurde man nur erwürgt. Erwürgen tat weh und brachte einen nicht um. Das Gleiche galt für einen Sprung von einem hohen Gebäude – man konnte sich nicht sicher sein, dass man genug Schaden nahm und starb. Sie könnte sich vielleicht mit dem Kopf auf Eisenbahnschienen legen, aber nachts fuhren nur Güterzüge, und die waren so langsam, dass sie bestimmt in letzter Minute weiche Knie bekommen würde.
Schließlich fiel ihr die ideale, pannensichere Lösung ein. In der Garage stand ein Benzinkanister für den Rasenmäher. In der üche waren Streichhölzer. Sie dachte an den Gasthof, der in Flammen aufgegangen war, ihr Vater darin gefangen. Feuer – eine Familientradition. Es war genau das Richtige.
Auf dem Weg nach unten stieg Angst in ihr auf, doch sie kämpfte mit ihrem Pflichtbewusstsein dagegen an. Sie war nicht in dem Feuer gestorben, in dem ihr Vater
umgekommen war. Doch das hätte sie tun sollen. Dies hier würde die Sache geraderücken.
In der Küche kritzelte sie eine Nachricht. Sie wollte deutlich machen, dass sie tot war und warum. Sie wollte nicht, dass Esmé sinnlos nach ihr suchte, von falscher Hoffnung getäuscht. Je schneller Esmé den Tod ihrer Tochter akzeptierte, desto schneller konnte sie ihr Leben weiterleben. Tomas schien ein wenig länger bei ihr bleiben zu wollen. Das würde helfen.
Ich bin der Mörder. Ich kann mich nicht daran erinnern, aber ich muss es gewesen sein. Ich weiß nicht, warum ich den Verstand verloren habe. Es ist nicht deine Schuld gewesen. Jetzt bringe ich mich um, damit ihr in Sicherheit seid. Es tut mir leid. Ich liebe dich.
Es kam Vivian eigenartig vor zu schreiben »Ich liebe dich« – so sprachen sie eigentlich nicht miteinander -, aber dies war ihre letzte Gelegenheit. Sie legte die Nachricht auf den Tisch unter Esmés Lieblingstasse.
Vivian holte das Benzin und die Streichhölzer und verließ das Haus durch die Hintertür. Wie ferngesteuert ging sie durch den Wald zum Fluss, wobei der Kanister immer wieder gegen ihren Oberschenkel schlug. Zweige knackten, Grillen flohen vor ihren Schritten, und ab und an stieß ein Nachtvogel ein leises Rufen aus. Die Geräusche waren klar, aber unwirklich, wie Filmmusik. Sie hatte das Gefühl, eine Fremde pirsche in ihrem Körper durch den Wald.
Sie folgte dem Fluss in Richtung der Stadt. Die Polizei sollte keinerlei Anhaltspunkte haben, wer sie war oder wo sie wohnte. Sie hielt erst in einem Waldstück an, das weit in die Flussauen hineinreichte. Dort befand sich eine kleine Hausruine, Teil einer Sanitary Commission aus dem Bürgerkrieg.
Sie kletterte in das steinerne Skelett und sah sich um. Überall lagen Bierdosen und Abfall verstreut, und in einer Ecke lag zusammengedrückt eine schmutzige rote Baseballmütze. Es roch nach Urin. Nach dieser Nacht würden die Leute den Ort wohl eine Weile meiden. Der Anflug eines grimmigen Lächelns umzuckte ihre Lippen. Vielleicht würden sie sogar glauben, es spuke hier.
Bring’s hinter dich , ermahnte sie sich und achtete nicht auf das ängstliche Kribbeln, das die Worte in ihr hervorriefen. Zuerst schob sie mit den Füßen so viel Abfall wie möglich in der Mitte des Raumes zu einem Haufen zusammen und legte die Streichhölzer auf ein paar umgestürzte Backsteine, damit sie trocken blieben. Doch als sie versuchte, den Verschluss des Benzinkanisters aufzuschrauben, fehlte ihr die Kraft. Das hier ist dumm, so dumm , dachte sie, packte mit zitternden
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