Blood - Ein Alex-Cross-Roman
an die Bullen verpfiffen. Den hatte er in seiner eigenen Küche in
kleine Teile gehackt und den Familienkühlschrank damit bestückt, damit die Botschaft klar und deutlich rüberkam.
Er ging durch einen kurzen Flur, lautlos wie ein Schatten. Machte nicht das kleinste Geräusch.
Dann warf er einen Blick in das kleine Wohnzimmer, Familienzimmer, was immer es sein mochte.
Doch mit diesem Anblick hatte er nicht gerechnet. Großer, gut aussehender Mann, der zwei kleinen Kindern die Windeln wechselte. Der Typ schien sich auch ganz gut damit auszukennen. Sullivan konnte das beurteilen, weil er vor Jahren für seine drei rotznasigen Brüder in Brooklyn zuständig gewesen war. Er hatte in seinem Leben schon eine Menge Stinkewindeln gewechselt.
»Bist du die Dame des Hauses?«, fragte er.
Der Kerl hob den Blick − Detective Alex Cross − und schien nicht einmal Angst vor ihm zu haben. Schien nicht einmal überrascht zu sein, den Schlachter in seinem Haus zu sehen, obwohl er schockiert und wahrscheinlich auch ängstlich sein musste . Der Bulle hatte auf jeden Fall Eier aus Eisen. Unbewaffnet und beim Windelnwechseln, trotzdem bewies er Haltung, echten Charakter.
»Wer sind Sie?«, wollte Detective Cross wissen, als wäre er Herr der Lage.
Der Schlachter verschränkte die Arme über der Brust und achtete darauf, dass die Kinder die Pistole nicht sehen konnten. Zum Teufel, er hatte Kinder auch sehr gern. Probleme hatte er nur mit den Erwachsenen, zum Beispiel mit seinem Alten, um mal einen besonders eklatanten Fall zu nehmen.
»Du weißt nicht, wieso ich hier bin? Keine Ahnung?«
»Vielleicht schon. Ich schätze, Sie sind der Killer von neulich. Aber warum sind Sie hier ? In meinem Haus? Da stimmt doch was nicht.«
Sullivan zuckte mit den Schultern. »Stimmt. Stimmt nicht. Wer kann das schon sagen? Man sagt mir nach, ich sei ein bisschen durchgeknallt. Das bekomme ich jedenfalls immer wieder zu hören. Vielleicht liegt es ja daran. Was meinst du? Man nennt mich den Schlachter.«
Cross nickte. »Das habe ich schon gehört. Tun Sie meinen Kindern nichts. Außer mir ist niemand da. Ihre Mutter ist nicht zu Hause.«
»Aber, aber, warum sollte ich denn so etwas tun? Deinen Kindern was antun? Dir was antun, vor den Augen deiner Kinder? Nicht mein Stil. Ich sag dir was, ich verschwinde. Wie gesagt … durchgeknallt. Hast Glück gehabt. Tschüs, ihr Kindlein.«
Dann machte der Profikiller eine Verbeugung, genau wie nach den Schüssen auf Jiang An-Lo.
Der Schlachter drehte sich um und verließ die Wohnung auf dem Weg, auf dem er auch hereingekommen war. Soll sich der oberschlaue Detective doch selber einen Reim darauf machen. Allerdings − sein Wahnsinn hatte tatsächlich Methode. Jeder einzelne Schritt war geplant. Er wusste genau, was er tat und warum und wann .
14
Die Begegnung mit dem Schlachter an jenem Abend erschütterte mich mehr als alles andere, was ich während meiner Polizeilaufbahn jemals erlebt hatte. Ein Killer in meinem Haus. Im Wohnzimmer, in unmittelbarer Nähe meiner Kinder.
Was sollte ich davon halten? War das eine Warnung gewesen? Hatte ich Glück, noch am Leben zu sein? Oh, ich Glücklicher? Der Killer hatte meine Familie verschont. Aber warum war er überhaupt zu mir gekommen?
Der folgende Tag war einer der hektischsten, seitdem ich bei der Polizei war. Während ein Streifenwagen mein Haus bewachte, musste ich an drei Sitzungen teilnehmen, die sich mit dem Desaster vor Jiang An-Los Haus befassten. Es wurde über eine gründliche Revision der gesamten Abteilung gesprochen, was ich noch nie erlebt hatte.
Angesichts all dieser unvorhergesehenen Sitzungen, des zusätzlichen Schreibkrams sowie meiner ganz normalen Arbeitsbelastung kam ich an diesem Abend zu spät zu den Potomac Gardens, um Maria abzuholen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich noch immer nicht damit angefreundet hatte, dass sie so viel Zeit in einem sozialen Brennpunkt zubrachte, besonders nach Einbruch der Dunkelheit. Jetzt war es dunkel. Und Maria war wieder schwanger.
Es war kurz nach 19.15 Uhr, als ich vor der Siedlung ankam. Maria stand nicht, wie sonst üblich, am Straßenrand.
Ich stellte den Wagen ab und stieg aus. Dann ging ich zu ihrem Büro im Erdgeschoss, neben der Hausmeisterei. Schließlich verfiel ich in einen leichten Trab.
Doch dann sah ich Maria aus der Tür kommen, und mit
einem Schlag war alles wieder im Lot. Ihre Mappe war so prall gefüllt mit Papieren, dass sie sie nicht einmal mehr zu bekam.
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