Blood - Ein Alex-Cross-Roman
besaß eine seltsam tröstliche Wirkung. Immer wieder hörte ich ihre Stimme, hatte sie genau im Ohr, und dazu die Worte: Du schaffst das schon, Alex, und zwar deshalb, weil du die Kinder so sehr liebst.
»Oh, Jannie, mein armes Baby. Ich hab dich so lieb«, flüsterte ich, den Mund dicht an den feuchten, überhitzten Kopf unseres Babys gelegt.
Da bemerkte ich Nana Mama.
17
Meine Großmutter stand in der Tür zum Flur mit den beiden kleinen Zimmern. Mit verschränkten Armen hatte sie mich die ganze Zeit über beobachtet. Hatte ich vielleicht mit mir selber geredet? Hatte ich laut gesprochen? Ich hatte keine Ahnung.
»Ich habe dich aufgeweckt, stimmt’s?«, flüsterte ich, was angesichts des Babygeschreis gar nicht notwendig gewesen wäre.
Nana wirkte ruhig, als hätte sie sich gut im Griff. Sie war hiergeblieben, damit sie sich am Morgen um die Kinder kümmern konnte, aber jetzt war sie wach, und das war meine Schuld. Und die der kleinen Jannie.
»Ich war sowieso wach«, sagte sie. »Ich war wach und habe mir überlegt, dass du mit den Kindern zu mir in die Fifth Street ziehen musst. Das Haus ist groß genug, Alex. Bei Weitem groß genug. So ist es am besten für uns alle.«
»Wie meinst du das?«, wollte ich wissen. Ihre Worte hatten mich etwas verwirrt, vor allem, weil Jannie lauthals in mein anderes Ohr brüllte.
Nana drückte den Rücken durch. »Du brauchst meine Hilfe mit den Kindern, Alex. Das ist vollkommen klar. Ich bin bereit, das zu akzeptieren. Ich will das schaffen, und das werde ich auch.«
»Nana«, erwiderte ich. »Wir kommen schon zurecht. Das kriegen wir alleine hin. Lass mir einfach ein bisschen Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.«
Nana beachtete mich nicht, sondern ließ mich weiterhin an ihren Gedanken teilhaben. »Ich bin für dich da, Alex, und für die Kinder. So muss es von nun an sein. Widerspruch zwecklos. Also hör jetzt auf damit, bitte.«
Sie kam auf mich zu und umarmte mich, eine Umarmung, die fester ausfiel, als ich angesichts ihrer dünnen Ärmchen erwartet hätte. »Ich liebe dich mehr als mein eigenes Leben.« Dann fügte sie hinzu: »Maria habe ich auch geliebt. Sie fehlt mir auch. Und ich liebe diese Kinder, Alex. Jetzt noch mehr als zuvor.«
Jetzt kamen uns beiden die Tränen, und so weinten wir alle drei gemeinsam in dem engen, vollgestopften Wohnzimmer unserer Wohnung. In einem Punkt hatte Nana Recht: Hier konnten wir nicht bleiben. Die Wohnung enthielt viel zu viele Erinnerungen an Maria.
»Jetzt gib mir Jannie. Gib sie schon her«, sagte sie, und es klang nicht gerade nach einer höflichen Bitte. Seufzend reichte ich dieser einen Meter dreiundfünfzig großen Kriegerin, die mich als zehnjährigen Waisen bei sich aufgenommen und mich großgezogen hatte, das Baby.
Nana fing an, Jannies Rücken zu streicheln und ihr den Nacken zu reiben, dann ließ die Kleine einen kräftigen Rülpser ertönen. Trotz alledem mussten Nana und ich lachen.
»Nicht besonders damenhaft«, flüsterte Nana. »Und jetzt, Janelle, hörst du sofort mit diesem grässlichen Geheule auf. Hast du mich verstanden? Hör auf der Stelle damit auf.«
Janelle tat, wie Nana Mama ihr befohlen hatte, und das war der Beginn unseres neuen Lebens.
Zweiter Teil
Kalte Spur
18
Gegenwart
Heute habe ich einen Brief von Kyle Craig, diesem Psychopathen, erhalten. Ich konnte es nicht glauben. Wie hat er es bloß geschafft, einen Brief an mich abzuschicken? Er war an das Haus in der Fifth Street adressiert. Soweit ich wusste, saß Kyle immer noch im Hochsicherheitsgefängnis in Florence, Colorado, ein. Dennoch war es beunruhigend, eine Botschaft von ihm zu bekommen.
Um ehrlich zu sein, mir wurde richtig schlecht dabei.
Alex,
ich habe Sie in letzter Zeit sehr vermisst − unsere regelmäßigen Gespräche und so weiter −, deshalb nun dieses kleine Schreiben. Um ganz ehrlich zu sein, ich bin immer noch erschüttert darüber, wie tief Sie unter mir stehen, sowohl in puncto Intellekt als auch in puncto Fantasie. Und doch waren Sie es, der mich gefangen genommen und hier eingesperrt hat, nicht wahr? Die Umstände und das schlussendliche Resultat könnten mich beinahe dazu verleiten, an eine göttliche Intervention zu glauben, aber natürlich bin ich noch nicht ganz so außer Gefecht gesetzt.
Jedenfalls ist mir klar, dass Sie ein viel beschäftigtes Bürschchen sind (das soll nicht herabwürdigend klingen), daher will ich Sie nicht lange aufhalten. Sie sollen lediglich wissen, dass ich
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