Blood - Ein Alex-Cross-Roman
miteinander, hatten mich aber noch nicht bemerkt und konnten mich wegen des Verkehrslärms auch nicht hören.
Ich hatte keine Wahl, und so trat ich langsam und vorsichtig auf die viel befahrene Straße hinaus.
Autos umkurvten mich schlitternd, ein silberfarbener Kombi blieb gleich ganz stehen. Am Steuer saß ein sprachloser Vater, und vom Rücksitz her beugten sich die Kinder nach vorne. Niemand hupte, vielleicht, weil sie Maria in meinem Arm gesehen hatten. Oder wegen meines Gesichtsausdrucks. Panik, Verzweiflung, was immer es sein mochte.
Noch mehr Autos bremsten, um mir den Weg frei zu machen.
Ich dachte: Wir schaffen es . Ich sagte zu Maria: »Wir sind jetzt im St. Anthony’s. Du wirst wieder ganz gesund, Liebste. Wir haben es fast geschafft. Halte durch, wir sind fast im Krankenhaus. Ich liebe dich.«
Dann war ich auf der anderen Straßenseite angelangt, und mit einem Mal riss Maria die Augen weit auf. Sie schaute mich an, sah mir tief in die Augen. Zunächst schien sie verwirrt zu sein, doch dann konzentrierte sie sich auf mein Gesicht.
»Oh, ich liebe dich wirklich, Alex«, sagte Maria und zwinkerte mir auf ihre wundervolle Weise zu. Dann schloss mein süßes Mädchen die Augen zum letzten Mal und verließ mich für immer. Noch während ich dastand und sie verzweifelt in meinen Armen hielt.
16
Maria Simpson Cross starb in meinen Armen, ich habe es, abgesehen von Sampson und Nana Mama, keinem Menschen erzählt.
Ich wollte nicht über unsere letzten gemeinsamen Augenblicke sprechen, wollte kein Mitleid, keine Neugier. Ich wollte nicht das Bedürfnis mancher Menschen nach Klatsch und Tratsch befriedigen, wollte ihnen nicht die neueste dramatische Geschichte liefern, die sie sich in gedämpftem Ton zuflüstern konnten. Während der gesamten Dauer der Mordermittlungen, die sich über die kommenden Monate erstreckten, sprach ich nicht ein einziges Mal über das, was sich vor dem Eingang des St. Anthony’s abgespielt hatte. Das war etwas, was nur Maria und mich anging. Sampson und ich hatten Hunderte von Leuten befragt, aber niemand konnte uns einen Hinweis auf ihren Mörder geben. Die Spur wurde schnell kalt und blieb es auch. Wir forschten nach dem wahnsinnigen Mafiakiller, mussten aber feststellen, dass er schon am Abend davor nach New York zurückgeflogen war, offensichtlich hatte er kurz nach dem Besuch in meiner Küche die Stadt verlassen. Das FBI war uns in diesem Fall behilflich, schließlich ging es um die Frau eines Bullen. Der Schlachter war nicht der Mörder.
In der Nacht ihres Todes lief ich mit einer kreischenden Janelle im Arm in unserem Wohnzimmer auf und ab. Ich bekam den Gedanken nicht aus dem Kopf, dass unser kleines Mädchen um seine Mutter weinte, die an diesem Abend vor der Tür des St. Anthony’s Hospital gestorben war, genau dort, wo Jannie vor sechs Monaten das Licht der Welt erblickt hatte.
Plötzlich rollten mir die Tränen über die Wangen, ich fühlte
mich von den Ereignissen des Tages überwältigt, sowohl von der Wirklichkeit als auch von der Unwirklichkeit des Geschehenen. Ich kam mit alledem nicht klar, aber am allerwenigsten mit dem Baby, das ich in den Armen hielt und das einfach nicht aufhören wollte zu weinen.
»Ist ja gut, mein Baby. Ist ja gut«, flüsterte ich meinem armen Mädchen zu, das von einem heimtückischen Kruppanfall gequält wurde und das wahrscheinlich lieber im Arm seiner Mutter als in meinem gelegen hätte. »Ist ja gut, Jannie, ist ja gut«, wiederholte ich, auch wenn ich wusste, dass das gelogen war. Im Stillen dachte ich: Nichts ist gut! Deine Mama lebt nicht mehr. Du wirst sie nie mehr wiedersehen. Genauso wenig wie ich! Oh, liebe, süße Maria, die niemals einem Menschen etwas zu Leide getan hat und die ich mehr geliebt habe als mein eigenes Leben. Sie war uns so plötzlich genommen worden, und aus einem Grund, den niemand − auch kein Gott − mir jemals erklären könnte.
Oh, Maria , sagte ich zu ihr, während ich mit unserem Baby im Arm auf und ab ging, wie konnte das bloß geschehen? Wie soll ich das alles bewältigen, was ich von nun an zu bewältigen habe? Wie soll ich das ohne dich schaffen? Das ist kein Selbstmitleid. Ich bin im Augenblick nur so fürchterlich durcheinander. Ich reiße mich zusammen. Ich reiße mich zusammen, das verspreche ich dir. Bloß nicht heute Nacht.
Ich wusste, dass sie mir keine Antwort geben würde, aber die Vorstellung, dass Maria mit mir reden könnte, dass sie mich vielleicht wenigstens hören konnte,
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