Blood - Ein Alex-Cross-Roman
Mama.
»Verflucht sollst du sein«, sagte ich und nahm mir ein Brötchen. Gepriesen sei der Herr, ein warmes Brötchen! Dann breitete sich langsam der köstliche Geschmack des Himmels
auf Erden in meinem Mund aus. »Gebenedeit seist du, oh altehrwürdige Frau. Gebenedeit seist du!«
Maria meinte: »Alex hört zur Zeit nicht besonders gut, Nana. Er hat zu viel mit seinen ständigen Mordermittlungen zu tun. Ich habe ihm auch schon gesagt, dass Damon selber essen kann. Meistens wenigstens. Wenn er nicht gerade die Wände oder die Decke füttert.«
Nana nickte. »Er kann immer selber essen. Es sei denn, er will hungrig bleiben. Willst du hungrig bleiben, Damon? Nein, natürlich willst du das nicht, mein Kleiner.«
Maria fing an, ihre Sachen zusammenzupacken. Gestern hatte sie noch bis nach Mitternacht in der Küche gesessen und gearbeitet. Sie war bei der Stadt als Sozialarbeiterin angestellt und erstickte in Arbeit. Sie nahm sich einen violetten Schal vom Haken an der Hintertür und dazu ihren Lieblingshut, der zu ihrer überwiegend schwarzen und blauen Kleidung passte.
»Ich hab dich lieb, Damon Cross.« Sie flog auf unseren Jungen zu und küsste ihn. »Und dich hab ich auch lieb, Jannie Cross. Trotz heute Nacht.« Sie gab Jannie ein paar Küsschen auf beide Wangen.
Dann schnappte sie sich Nana und küsste sie. »Und dich hab ich auch lieb.«
Nana strahlte, als hätte man sie soeben mit Jesus persönlich bekannt gemacht oder mit Maria. »Ich hab dich auch lieb, Maria. Du bist ein wahres Wunder.«
»Ich bin gar nicht da«, sagte ich von meinem Horchposten an der Küchentür her.
»Ach, das wissen wir«, meinte Nana.
Auch ich musste, bevor ich zur Arbeit ging, alle Anwesenden umarmen, küssen und Liebeserklärungen abgeben. Kann sein, dass das kitschig ist, aber es tut gut und ist außerdem
eine hübsche Provokation für alle diejenigen, die glauben, dass in einer umtriebigen und stressgeplagten Familie kein Platz für Spaß und Liebe sei. Bei uns gab es eine ganze Menge davon.
»Tschüs, wir haben euch lieb, tschüs, wir haben euch lieb«, sangen Maria und ich im Chor, während wir gemeinsam zur Tür hinausgingen.
8
Wie an jedem Morgen, brachte ich auch heute Maria zu ihrem Arbeitsplatz in der Sozialbausiedlung Potomac Gardens. Von dort waren es höchstens fünfzehn, zwanzig Minuten bis zur Fourth Street, und so waren wir wenigstens noch ein bisschen zu zweit.
Wir saßen in dem schwarzen Porsche, dem letzten sichtbaren Zeugnis meiner drei Berufsjahre als gut verdienender, privat praktizierender Psychologe, bevor ich einen Vollzeit-Job bei der Polizeibehörde von D.C. angenommen hatte. Maria besaß einen weißen Toyota Corolla, den ich nicht besonders gut leiden konnte. Im Gegensatz zu ihr.
Als wir an diesem Morgen durch die G-Street fuhren, hatte ich das Gefühl, als sei sie mit ihren Gedanken weit weg.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich sie.
Sie lachte und zwinkerte mir zu.
»Bisschen müde. Eigentlich geht es mir sogar ziemlich gut, den Umständen entsprechend. Ich habe gerade an einen Fall gedacht, den ich gestern als Vertretung für Maria Pugatch übernommen habe. Eine Studentin der George Washington University. Sie ist in einer Kneipe in der M-Street vergewaltigt worden.«
Ich zog die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf. »Von einem Kommilitonen?«
»Sie behauptet, nein, aber viel mehr will sie nicht sagen.« Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. »Heißt das, dass sie den Vergewaltiger kennt? Ein Professor vielleicht?«
»Das Mädchen sagt kategorisch nein, Alex. Sie schwört Stein und Bein, dass sie ihn nicht kennt.«
»Und glaubst du ihr?«
»Ich denke, schon. Aber ich bin eben auch sehr leichtgläubig und vertrauensselig. Sie macht so einen netten Eindruck.«
Ich wollte meine Nase nicht zu tief in Marias berufliche Angelegenheiten stecken. Das galt auch umgekehrt. Zumindest versuchten wir es.
»Soll ich vielleicht irgendetwas unternehmen?«, fragte ich.
Maria schüttelte den Kopf. »Du hast genug zu tun. Ich unterhalte mich heute noch einmal mit der jungen Frau − Marianne. Hoffentlich kann ich sie dazu bringen, sich ein wenig zu öffnen.«
Ein paar Minuten später blieb ich vor der Sozialbausiedlung Potomac Gardens in der G-Street, zwischen Thirteenth Street und Pennsylvania Avenue, stehen. Maria hatte sich freiwillig hierher versetzen lassen und hatte dafür einen deutlich bequemeren und sichereren Job in Georgetown sausen lassen. Ich glaube, sie hat es deshalb gemacht, weil
Weitere Kostenlose Bücher