Blood - Ein Alex-Cross-Roman
irgendwie schuldig, als hätte ich irgendetwas tun können, um den Überfall zu verhindern.«
»Zum Beispiel?«
Ich lächelte. Dann lächelte Adele auch.
»Zum Beispiel ganz Washington von sämtlichen Verbrechern zu befreien«, sagte ich.
»Sie verstecken sich schon wieder hinter Ihren Witzen.«
»Aber selbstverständlich, und jetzt kommt das eigentlich Erschreckende: So rational ich mich auch nach außen hin gebe, habe ich eben doch Schuldgefühle, weil ich Kayla nicht irgendwie beschützt habe. Und ja, Adele, ich weiß, wie lächerlich das ist. Das zu denken . Das laut auszusprechen. Aber jetzt habe ich es trotzdem getan.«
»Erzählen Sie mir ein bisschen mehr darüber, wie Sie Kayla Coles hätten beschützen können. Das muss ich wissen, Alex.«
»Jetzt bohren Sie nicht noch zusätzlich in der Wunde. Außerdem glaube ich nicht, dass ich das Wort beschützen in den Mund genommen habe.«
»Doch, das haben Sie sehr wohl. Aber egal, reden Sie weiter. Sie haben gesagt, Sie wollten mir alles erzählen. Dieser
Punkt ist wahrscheinlich bedeutsamer, als Sie selbst glauben.«
»Ich hatte absolut keine Möglichkeit, Kayla zu helfen. Sind Sie jetzt zufrieden?«
»Ich kriege so eine Ahnung«, erwiderte Adele und wartete ab, was noch von mir kommen würde.
»Das lässt sich natürlich alles auf den letzten Abend mit Maria zurückführen. Damals war ich da. Ich habe sie in meinen Armen sterben sehen. Ich konnte nichts unternehmen, um der Frau, die ich geliebt habe, das Leben zu retten. Ich habe nichts unternommen. Ich habe nicht einmal den Hurensohn gefasst, der sie auf dem Gewissen hat.«
Adele blieb weiterhin stumm.
»Und wissen Sie, was das Schlimmste ist? Ich frage mich ständig, ob diese Kugel nicht für mich bestimmt war. Maria hat sich mir zugewandt, ist in meine Arme gekommen, und dann hat die Kugel sie getroffen.«
Das anschließende Schweigen dauerte selbst für unsere Verhältnisse ungewöhnlich lang, dabei sind wir ziemlich gut im Aushalten von Stille. Diesen letzten Satz hatte ich noch nie zuvor laut ausgesprochen, weder gegenüber Adele noch gegenüber sonst jemandem.
»Adele, irgendwie muss ich mein Leben ändern.«
Auch dazu sagte sie nichts. Klug und unnachgiebig, so, wie ich meine Seelenklempner liebe und wie ich selbst eines Tages sein möchte, wenn ich verflucht noch mal endlich erwachsen werde.
»Sie glauben mir nicht?«, sagte ich.
Jetzt endlich sagte sie etwas. »Ich möchte Ihnen glauben, Alex. Selbstverständlich möchte ich das.« Dann fügte sie hinzu. »Und Sie? Glauben Sie sich selbst? Glauben Sie , dass wir uns tatsächlich ändern können? Können Sie es?«
»Ja«, sagte ich zu Adele. »Ich glaube wirklich, dass ich mich ändern kann. Aber ich liege auch oft genug falsch.«
Sie lachte. Wir lachten beide.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass ich für diese Scheiße auch noch Geld bezahle«, sagte ich schließlich.
»Ich auch nicht«, erwiderte Adele. »Aber Ihre Zeit ist um.«
78
Am Nachmittag desselben Tages fand ich mich in St. Anthony’s wieder − in St. Tony’s, wie ich die Kirche seit meiner Kindheit nannte, einer Kindheit, die ich ganz in der Nähe verbracht habe, in Nanas Haus, dem ich immer mit vergleichbarer Ehrfurcht begegnet war wie der Kirche. Sie steht ungefähr einen Straßenblock von dem Krankenhaus entfernt, in dem Maria gestorben ist. Ich hatte mein spirituelles Wohlergehen aus den Händen des Chefarztes in die Hände des Chefs des Universums gelegt und hoffte auf eine Verbesserung.
Ich kniete mich vor den Altar und ließ mich von dem übermäßig süßen Duft des Weihrauchs und den altbekannten Abbildungen der Geburt und der Kreuzigung Christi überwältigen, sodass sie ihr schmutziges Werk verrichten konnten. Ich finde, das Beeindruckendste an schönen Kirchen ist die Tatsache, dass sie in der Regel von Menschen entworfen wurden, die an etwas Größeres und Wichtigeres als sich selbst glaubten. Genau in diesem Geist möchte auch ich mein Leben führen. Ich blickte zum Altar hinauf, und ein Seufzer kam über meine Lippen. Ich glaube an Gott. So einfach ist das, ist es schon immer gewesen. Irgendwie kommt es mir ein bisschen merkwürdig oder anmaßend vor zu glauben, dass Gott so denken kann wie wir oder dass er ein großes, freundliches Menschengesicht hat oder dass er weiß, braun, schwarz, gelb, grün oder sonst was ist oder dass er Tag und Nacht und jederzeit unsere Gebete hört.
Aber nun kniete ich in der ersten Reihe von St. Tony’s und sprach
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