Blood - Ein Alex-Cross-Roman
Schusswaffen, eine Knochensäge, ein Nageltacker − lag im Kofferraum.
Am Anfang der Fahrt hörte er keine Musik, sondern beschäftigte sich lieber mit seinen Erinnerungen. In letzter Zeit hatte er viel an seine ersten Morde gedacht: seinen Vater natürlich, ein paar Aufträge von John Maggione Senior und einen katholischen Priester namens Francis X. Conley. Pater Frank X. hatte jahrelang mit kleinen Jungs aus der Gemeinde
seine Sauereien getrieben. Das ganze Viertel kannte die Gerüchte, und die Geschichten waren mit einer Menge schweinischer, ekliger Details versehen. Sullivan konnte nicht glauben, dass etliche Eltern gewusst hatten, was da vor sich ging, und absolut nichts dagegen unternommen hatten.
Er war neunzehn Jahre alt gewesen und hatte bereits für Maggione gearbeitet, als er den Priester zufällig drunten am Hafen gesehen hatte, wo Conley ein kleines Boot mit Außenborder zum Fischen liegen hatte. Manchmal nahm er auch für einen Nachmittag einen seiner Ministranten mit. Als Belohnung. Als süße kleine Nascherei.
An eben jenem Frühlingstag war der gute Pater zum Anleger gekommen, um seinem Boot den letzten Schliff für die bevorstehende Saison zu geben. Er war gerade mit dem Motor beschäftigt, als Sullivan und Jimmy Hats an Bord kamen.
»Hey, Pater Frankie«, sagte Jimmy und strahlte ihn mit verschlagenem Lächeln an. »Wie wär’s mit einem kleinen Bootsausflug? Ein bisschen Fischen?«
Der Priester schaute die beiden Nachwuchsgangster mit zusammengekniffenen Augen an und runzelte die Stirn, als er sie erkannte. »Ich glaube kaum, Jungs. Das Boot verträgt noch keine größeren Strapazen.«
Das brachte Hats zum Lachen, und er wiederholte: »Verträgt noch keine größeren Strapazen − ja, genau, ich verstehe.«
Dann trat Sullivan einen Schritt vor. »Doch, doch, das wird es schon verkraften, Paterchen. Wir machen eine Seefahrt. Kennen Sie dieses Lied? Eine Seefahrt, die ist lustig? Genau das machen wir jetzt. Nur wir drei.«
Und so schipperten sie aus dem Hafen, und von Pater Frank X. hat kein Mensch je wieder etwas gesehen oder gehört. »Gott möge seine scheinheilige Seele in der Hölle
schmoren lassen«, hatte Jimmy Hats auf dem Rückweg gewitzelt.
An diesem Morgen, auf der Fahrt zu seinem neuesten Auftrag, musste Sullivan wieder an das Lied von der lustigen Seefahrt denken und daran, wie der jämmerliche Priester um sein Leben und später, bevor er zu Fischfutter verarbeitet worden war, um seinen Tod gebettelt hatte. Aber vor allem musste er daran denken, dass er sich gefragt hatte, ob er soeben eine gute Tat an Pater Frank vollbracht hatte und ob so etwas überhaupt möglich war.
Konnte er überhaupt irgendetwas Gutes tun?
Oder war er einfach nur durch und durch schlecht?
107
Schließlich gelangte er nach Stockbridge, unweit der Grenze zwischen den Bundesstaaten Massachusetts und New York, und ließ sich von seinem GPS zum richtigen Haus führen. Er war bereit, sein Schlechtestes zu geben, wieder der Schlachter zu sein, sich seinen Lohn zu verdienen.
Zum Teufel mit guten Taten und guten Gedanken, was immer sie auch beweisen sollten. Er entdeckte das Haus, das sehr nach »Landhaus« aussah und außerdem, so dachte er, sehr geschmackvoll. Es lag an einem ruhigen Teich, umgeben von hektarweise Ahorn, Ulmen und Kiefern. In der Einfahrt stand, wie eine moderne Skulptur, ein schwarzer Porsche Targa.
Man hatte dem Schlachter gesagt, dass eine einundvierzig Jahre alte Frau namens Melinda Steiner im Haus sei und dass sie ein schickes, rotes Mercedes-Cabrio fuhr. Also wer gehörte zu diesem schwarzen Porsche?
Sullivan stellte seinen Wagen abseits der Hauptstraße hinter einem Kiefernwäldchen ab und beobachtete etwa zwanzig Minuten lang das Haus. Dabei stellte er unter anderem fest, dass das Garagentor verschlossen war. Vielleicht verbarg sich ja dahinter ein hübsches, rotes Mercedes-Cabrio?
Also blieb die Frage: Wer gehörte zu diesem schwarzen Porsche?
Vorsichtig achtete er darauf, im Schutz der dichten Zweige zu bleiben, und setzte ein deutsches Fernglas an die Augen. Damit suchte er sorgfältig die Ost- und Südfenster des Hauses ab, eines nach dem anderen.
Die Küchenfenster waren allesamt dunkel, es rührte sich nichts − dort schien niemand zu sein.
Genauso wenig im Wohnzimmer, das ebenfalls dunkel und unbelebt dalag.
Aber irgendjemand war im Haus, richtig?
Schließlich entdeckte er sie in einem Eckzimmer im ersten Stock. Vermutlich das Schlafzimmer.
Melinda, oder Mel,
Weitere Kostenlose Bücher