Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
Den Deacon, der sich in mein Herz geschlichen und mir die Kraft gegeben hatte, gegen die Mächte der Finsternis anzutreten.
»Was machen wir dann jetzt?«, fragte Rose. »Fahren wir zu ihm nach Hause? Weißt du überhaupt, wo sein Zuhause ist?«
»Nein. Aber du warst doch dort. Und auch ... Ach du Scheiße! Rachel.«
»Häh? Was ist mit Rachel?«
»Die ist immer noch bei Deacon.«
Rachel war meine Schwester, beziehungsweise Alice’ Schwester. Aber da die Dämonen Alice geopfert hatten, um meine Seele in ihren Körper zu verfrachten und so irgendeine beschissene Prophezeiung zu erfüllen, war ich also jetzt Alice. Beziehungsweise eine Kreuzung aus Alice und Lily, könnte man vielleicht sagen.
Es war alles wirklich sehr verwirrend.
Der springende Punkt war der: Bevor Rose, Deacon und ich losgezogen waren, um gegen den großen, bösen Dämon zu kämpfen, hatten wir Rachel gesund und munter bei Deacon untergebracht. Damals war uns das vollkommen logisch vorgekommen - er war einer der Guten.
Jetzt hingegen ...
Jetzt hing Rachel im Haus eines Dämons herum, der seine dämonische Gestalt wieder angenommen hatte und beim Ausatmen Höllenfeuer spuckte.
»Rachel ist in seinem Haus«, erläuterte ich meiner kleinen Schwester das Problem. »Sie weiß nicht, dass Deacon sich verändert hat.«
Roses Augen wurden groß wie Untertassen, als ihr die volle Bedeutung des eben Gesagten aufging. »Oh nein.«
»Du hast es erfasst.«
Ich wusste, in Deacon steckte noch ein Rest Menschlichkeit - er hatte uns gewarnt, wir sollten bloß abhauen, oder? Aber ich wusste nicht, wie stark der Dämon darum kämpfte, die Oberhand zu gewinnen. Wahrscheinlich sehr stark. Man durfte ja nicht vergessen, dass Deacon, ehe er seine Kumpel in der Hölle verraten hatte, um sich einen Platz im Paradies zu verdienen, zu den Schlimmsten der Schlimmsten gezählt hatte. Ein Tri-Jal, den man in den tiefsten, finstersten Kerkern der Hölle gefoltert hatte, bis jedes Überbleibsel seines ursprünglichen Charakters vollkommen verschwunden war.
Aber er hatte den Kampf angenommen. Ihm war es gelungen, den dämonischen Teil seines Wesens zu unterdrücken, und das ist wahrlich keine leichte Aufgabe. Ich muss es schließlich wissen.
Jedes Mal, wenn ich einen Dämon töte, absorbiere ich nicht nur dessen Kräfte, sondern auch seine Essenz.
Ich wusste also ganz genau, wie Deacon sich fühlte, wie es ist, wenn eine dämonische Ausstrahlung in einem hochsteigt und darum bettelt, losgelassen zu werden, wie sie jede sich bietende Gelegenheit ergreift, um in der wirklichen Welt Fuß zu fassen.
Wenn ein Dämon erst einmal entwichen ist, dann ist es schwierig, ihn wieder in die Flasche zurückzustopfen. Ich war ernsthaft besorgt, dass Deacon diese Schlacht verlieren könnte. Schlimmer noch: Ich fürchtete, dass Rachel eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht mit dem dämonischen Deacon bevorstehen könnte.
»Was sollen wir tun?«, fragte Rose.
»Weißt du nicht, wo Deacons Haus ist?« Wie Rachel hatte sich auch Rose schon in Deacons sicherem Haus versteckt, während er und ich gegen die Gefahren auf den Straßen kämpften.
Ich war allerdings nicht dabei gewesen, als er sie zu sich gebracht hatte. Ich hatte mir auch nicht seine Adresse notiert.
»Keine Ahnung«, sagte Rose. »Aber es war nicht sehr weit. Und es war ein großes Haus. Und alt. Wie sie in diesen vornehmen Vierteln rumstehen.«
»Würdest du es denn wiedererkennen?«
Sie zuckte mit den Schultern und sah aus wie vierzehn, obwohl ihr Körper schon Mitte zwanzig war. »Weiß nicht.«
Frustriert runzelte ich die Stirn. Was sollte ich tun? Jede Straße in jeder hübschen Gegend im Großraum von Boston abfahren? Mein toller Straßenatlas-Arm kam mir momentan reichlich nutzlos vor. »Wir müssen jemanden suchen, der weiß, wie man Leute aufspürt.« Mein Arm konnte nur Gegenstände ausfindig machen, aber Menschen - und Dämonen - lagen außerhalb seiner Fähigkeiten.
»So was wie einen Privatdetektiv?«
»Ich dachte mehr an ein Medium.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Ein Medium? Also ehrlich.«
Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. »Wir laufen beide in fremden Körpern herum«, sagte ich, hob die Hand und begann, meine Argumente an den Fingern abzuzählen. »Wir sind gerade einem Dämon so groß wie ein Haus entwischt. Mein Arm kann mystische Landkarten zeichnen und mich dann im Handumdrehen ans andere Ende der Welt versetzen, und ich kann dir Gedanken aus dem Kopf klauen, einfach indem
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