Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
ganzen fünfzig Zentimeter Fleisch durchtrennen.
Doch ich musste schnell machen. Sie japste schon nach Luft, riss den Mund auf keuchte, und Todesangst stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ich würde sie verlieren. Oh Gott, oh Gott. Ich würde sie verlieren. Rose. Meine kleine Schwester. Das kleine Mädchen, für dessen Rettung ich alles riskiert hatte - die Apokalypse eingeschlossen.
Ich fühlte mich wie betäubt. Gelähmt. Rundum unfähig.
Und als dann ihre Augen langsam stumpf wurden und ich kaum noch die Kerbe erkennen konnte, die ich dem Dämonenarm zugefügt hatte, weil mir Tränen in die Augen schossen, da hörte ich es.
Erst nur leise, dann immer lauter. Ein tiefes, schreckliches Heulen.
Ich drehte mich um. Der Dämon riss die Augen auf, die schwarzen Schlitze wurden rot. Schnell fuhr ich wieder herum, folgte rein meinen Instinkten, packte Rose um die Taille und spreizte die Beine im Fahrstuhl so ein, dass je ein Fuß sich links und rechts vom Loch in der Gittertür einstemmte.
Das war der richtige Schachzug. Der Tentakel zog sich zurück und wollte Rose mit sich nehmen.
Aber das ging nicht mehr. Jedenfalls nicht so leicht. Nicht, solange ich sie festhielt.
Und plötzlich ließ er los.
Ich verstand nicht so recht, warum. Ich wusste nur, dass das, was dieses fürchterliche Geheul hervorgerufen hatte, Penemue einschüchterte. Jedenfalls hatte er sich in die Dunkelheit zurückgezogen.
Vielleicht sollten wir jetzt besser auch verschwinden. Denn trotz meiner nur begrenzten Erfahrung in dieser Welt war mir schon aufgegangen, dass es empfehlenswert war, vor Dingen davonzulaufen, die sogar solch gigantische Höllenviecher irritierten.
Ich gab Rose einen Klaps, vernahm ein Stöhnen und seufzte erleichtert. Für mehr war jetzt keine Zeit, also ließ ich sie auf den Boden des Fahrstuhls sinken. Sie hustete und rollte sich zusammen. Fürs Erste war sie in Sicherheit.
Ich hämmerte auf die Knöpfe des Fahrstuhls ein, doch Rose hatte recht gehabt - sie funktionierten nicht. Aber wir mussten immer noch hier raus. Ich schaute nach oben und suchte die Notfalltür, die für alle Aufzüge vorgeschrieben war. Offensichtlich sogar für jene, die von Lakaien der Hölle eingebaut worden waren.
Ich benutzte das geschmolzene Metallgestell der Kabine als Behelfsleiter und zog die Falltür nach unten. Dann hüpfte ich wieder runter und machte für Rose eine Räuberleiter. »Schaffst du das?«
Sie hob den Kopf. In dem Moment sah sie so aus, als bräuchte sie dringend ein Nickerchen.
»Rose, bitte, wir müssen uns beeilen!«
Sie öffnete den Mund, sagte aber nichts. Zumindest klappte sie nicht zusammen. Ihr Blick richtete sich durch das Loch in der Aufzugwand auf den Abgrund. Ich wusste, woran sie dachte, weil mir die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen: Solange ich nicht tot oder völlig am Ende bin, komme ich hier raus.
Ich reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen, dann bildete ich wieder die Räuberleiter. »Halt dich an meinen Schultern fest.«
»Ich komm schon klar.« Ihre Stimme war schwach, aber sie meinte, was sie sagte, und bevor ich mir noch Sorgen machen konnte, ob ihre Kraft reichen würde, zog sie sich hoch und war auch schon durch das Loch, schaute runter und wartete, dass ich ihr folgte.
Ich war auch gerade dabei, das zu tun, als erneut der Fangarm auf mich zuschnellte. Ich sprang und versuchte, noch rasch durch die Falltür zu schlüpfen. Rose packte mich hinten am T-Shirt und zog und wollte mir hochhelfen, aber es reichte nicht. Trotz meiner Kraft und ihres beherzten Eingreifens hinderte mich das Zerren des Tentakels, der sich um meine Taille gelegt hatte, daran, durch die Klappe nach oben zu klettern.
Er hätte mich auch glatt den ganzen Weg zurück in die Hölle geschleift, wäre da nicht plötzlich eine kohlrabenschwarze Gestalt mit Flügeln aus dem Schlund geplatzt. Sie kam angeschossen, als hätte man sie aus einer Kanone abgefeuert, der ganze Körper mit Flammen bedeckt, nicht als stünde er in Flammen, sondern als bestehe er aus Flammen.
Und dieses Feuerwesen rauschte dröhnend voll auf uns zu. Der bloße Anblick schien dem Tentakel einen Schock zu versetzen. Jedenfalls lockerte sich sein Griff. Das Feuerwesen, dessen Flammen jetzt erloschen, befreite mich rasch aus der Umklammerung, packte mich unter den Achseln und hievte mich kerzengerade in den Aufzugschacht empor.
Der Geflügelte bremste kurz ab und schnappte sich Rose, dann zündete die nächste Stufe und er zog ab wie eine Rakete nach
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