Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
Wahl...
2
»Lauf!«
Deacons Stimme durchschnitt den Dunstschleier in meinem Kopf. Da erst wurde mir bewusst, dass der Boden bebte. Riesige Estrichbrocken und tödlich scharfe Stahlträger wurden hochgeschleudert, weil die Erde aufplatzte.
Nur dass dies kein Erdbeben war. Es war etwas viel, viel Schlimmeres.
Ich diskutierte nicht lange und blieb auch nicht stehen, um mir ein genaues Bild zu machen. Vielmehr packte ich meine Schwester bei der Hand und zerrte sie quer über den sich wellenden Fußboden von Zanes Trainingskeller, der sich rasend schnell in Wohlgefallen auflöste. Es gab nur einen Weg nach draußen, den Fahrstuhl, den wir unbedingt erreichen mussten. Und wir hatten keine Sekunde mehr zu verlieren.
Denn ich wusste, wer sich unter dem Boden befand. Gesehen hatte ich ihn nicht, aber ich war mir sicher.
Penemue. Ein Meisterdämon.
Genauer gesagt: ein Meisterdämon, den ich gerade nach Strich und Faden verarscht hatte. Irgendwie wurde ich den Eindruck nicht los, dass er keinen gemütlichen kleinen Plausch im Sinn hatte. Nein, er war scharf auf das, was mir um den Hals hing: den Oris Clef. Den Schlüssel, der alle Neun Pforten der Hölle öffnen und dem Träger die Herrschaft über alle Dämonen verleihen würde, die dann die Grenze zu unserer Welt überschreiten würden.
Diese unvorstellbare Macht war es auch, die Penemue, damals selbst noch ein Engel, dazu getrieben hatte, den Oris Clef heimlich zu schmieden. Doch die Erzengel entdeckten seinen Verrat, bevor er den Schlüssel einsetzen konnte, und zerbrachen das Höllenwerkzeug in drei Teile. Penemue wurde aus dem Himmel verjagt und in den furchtbarsten aller Dämonen verwandelt. Und genau der hatte es jetzt auf mich abgesehen.
»Lily!«, kreischte Rose entsetzt. Automatisch blickte ich in die Richtung, in die auch sie schaute. Hinter uns hatte sich der Boden aufgetan wie die perverse Parodie auf eine Blume. Der Estrich schälte sich wie plumpe Blütenblätter und enthüllte ein tiefes Loch, das bis in die schwärzeste Tiefe der Hölle reichte.
»Lauf!« Ich packte sie am Arm und schob sie vorwärts, während ich gleichzeitig den Staub und die Trümmer nach Deacon absuchte.
Schwefelgestank stieg mir in die Nase, als der Schlund kotzgrünes Gas ausrülpste. Aus dem schwarzen Loch drang ein tiefes, bedrohlich klingendes Grollen, als der, der da unten steckte, den Aufstieg begann - der Dämon höchstpersönlich, in all seiner mächtigen, eiternden, umfassenden Pracht.
Und hinter ihm, getrennt von Rose und mir nur durch das immer weiter aufklaffende Loch und die emporsteigende Bestie, entdeckte ich Deacon.
»Los!«, schrie er herüber. »Schnell!«
Ein langer Fangarm wie der eines Kraken schoss aus dem Abgrund, peitschte herab und zertrümmerte den Boden, als wäre er aus Styropor.
»Verdammt, Lily! Lauf!«
Ich wusste, genau das hätte ich tun sollen. Ich wusste, ich hätte auf Teufel komm raus von dort verschwinden sollen. Aber ich konnte nicht. Wie angewurzelt blieb ich stehen, die Hand am Messer, wild entschlossen. Das war die Bestie, die mir mein Leben versaut hatte. Das war die Bestie, die alle Fäden gezogen und mich hereingelegt hatte. Die mich hatte glauben lassen, ich würde Gutes tun, während ich nichts weiter war als eine Marionette des Bösen.
Das war der Dreckskerl, der mir das angetan hatte. Ich wollte ihm direkt in die Augen schauen. Ich wollte ihm mein Messer reinrammen. Und ich wollte mich in der Dunkelheit suhlen, die mich jedes Mal erfüllte, wenn ich einen Dämon tötete. Diese bittere Schwärze war der Preis, den ich zu zahlen hatte, wenn ich meiner Bestimmung folgte. Ein Meisterdämon wie Penemue wäre ein absoluter Glückstreffer, besser als alles, was ich bislang kennengelernt hatte. Wie eine Süchtige lechzte ich nach dem, was mich so leicht zerstören konnte. Aber das war mir egal. Ich wollte es. Mann, ich brauchte es.
»Lily!« Rose schrie auf, als der Fangarm in unsere Richtung ausschlug und uns nur so knapp verfehlte, dass wir den Luftzug spüren konnten. Wieder schrie sie. Ihre Todesangst drang durch meine Wut und mein Verlangen zu mir durch, und ich trat einen Schritt zurück und ließ von meinen Dämonenmord-Fantasien ab.
Denn die Wahrheit war: Ich konnte ihn nicht erledigen. Nicht dieses Monster. Auch nicht mit all der Kraft, die ich daraus zog, dass ich die Frau der Prophezeiung war.
Er war zu groß, zu gewaltig, zu mächtig. Und selbst mit meinem supergestählten Körper und meinen überfraulichen
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