Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut - Gratton, T: Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut - Blood Magic # 1
diametral entgegengesetzten Geschmack hinsichtlich Musik, Essen und Kultur. Verdammt, ich redete sogar anders, und beim Mittagessen bat mich doch tatsächlich eine Cheerleaderin, zu wiederholen, was ich gerade gesagt hatte. Ich zeigte ihr den Mittelfinger.
Das Mädchen auf dem Friedhof lenkte mich noch zusätzlich ab. Ich hatte sie nicht noch mal getroffen, obwohl ich
seit Samstag jeden Abend über die Gräber geschlendert war. Voller Hoffnung, weil ich nicht aufhören konnte, an sie zu denken, aber auch voller Furcht, weil ich wirklich nicht wollte, dass sie das tat, wobei ich sie meiner Meinung nach beobachtet hatte.
Auf dem Weg von einem Klassenraum zum anderen hielt ich nach ihr Ausschau. Ich war es gewohnt, zügig oder besser gesagt blitzschnell das Klassenzimmer zu wechseln, aber hier fanden die Kurse des Abschlussjahrgangs fast alle in der ersten Etage statt. Alles lag eng beieinander. Ich schätzte die Zahl der Schüler insgesamt auf gut vierhundert. Alle kannten sich und hatten sämtliche Familiengeschichten der anderen drauf. Die Ansammlung von Cowboystiefeln brachte mich an den Rand des Wahnsinns.
Am Mittwoch forderte Mrs Trenchess uns in Infinitesimalrechnung auf, Zweiergruppen zu bilden und Hausaufgaben zu machen. Ich hatte nichts auf, aber der Typ vom Nachbarpult streckte mir die Hand über den Gang entgegen. »Hey, ich heiße Eric.«
Ich hob den Blick von dem schmutzigen Haiku, den ich zwischen meine Aufzeichnungen zu den Logarithmen gekritzelt hatte. Und? , fragte ich stumm, indem ich die Augenbrauen hochzog.
Er knallte die Hand aufs Pult und grinste. »Du bist echt das letzte Arschloch. Hab ich schon gehört.«
Ich gönnte ihm immer noch keine Antwort.
Eric kramte ein silbernes Zippo-Feuerzeug aus der Jeans und machte es an und aus. Er legte sich halb über das Pult, damit Mrs Trenchess nichts merkte. »Macht nichts. Ich weiß sowieso schon, wie du heißt, Nick.« Er ballte die Faust um das Feuerzeug und beugte sich weit über den Gang. Ich hatte schon Angst, er würde vom Stuhl fallen, als er das Gedicht am Rand
meines Mathebuchs las. »›Voll verkrampft / Mrs Trenchess ist gegen / das Überleben der Schüler‹.«
»Ein Haiku?«, fragte er zögernd.
Zu jemandem, der sich mit Lyrik auskannte, konnte ich nicht richtig gemein sein. »Ich hatte überlegt, es neben NUR A … SPIELEN SCHACH ins Pult zu ritzen, aber ich weiß nicht, ob es schlau genug ist.«
Seine Lache war ein schrilles Bellen. »Hast du noch mehr davon?«
Ich überlegte kurz, dachte aber dann, was soll’s? Beim Blättern in meinem Notizbuch fand ich auch meine neuesten Gedichte.
Formel, Algorithmus, Diagramm
Langweiliges Tamtam
Das Zeug brauch ich nicht
Gib mir nur Whiskey, Mann
So seh ich eher das Licht.
Und:
Tusse mit dicken Augen
viel zu stark geschminkt
Denkt, sie ist der Hit. Shit
»Hört sich nach Sarah Turner an«, sinnierte Eric.
»Das war heute Morgen in Geschichte. Sie war sauer, weil ich keinen Bock hatte, mit ihr zu reden. Wie sie hieß, war mir auch egal.«
»Du machst also auf Dichter?«
»Nein.«
Er lehnte sich zurück auf seinen Platz und wartete darauf,
dass ich noch was sagte. Als ich schwieg, schüttelte Eric den Kopf. »Dichter haben ja angeblich viele Fans.«
Wir grinsten beide. »Hey«, sagte ich. »Kennst du Silla Kennicot? «
Er verzog keine Miene mehr, aber ich konnte sehen, dass er beinahe die Stirn gerunzelt hätte. »Klar. Wieso?«
»Sie ist meine Nachbarin, nur das.« Ich zuckte mit den Achseln, als wäre es egal. Wieso fragte er so komisch?
»Ach, stimmt, hatte ich ganz vergessen. Hast du sie schon kennengelernt?«
»Ja. Sie kam mir ein bisschen seltsam vor.«
Er antwortete nicht gleich, machte nur das Feuerzeug an. »Kann man wohl sagen. Seit ihre Eltern gestorben sind, ist sie völlig durch den Wind.« Eric ließ das Feuerzeug zuschnappen. »Kann man ihr kaum verübeln.«
Jetzt hätte ich natürlich nachfragen müssen. Stattdessen fragte ich ihn, ob ich ihm bei den Hausaufgaben helfen sollte. Er sagte, wenn er sie überhaupt machen würde, hätte er wahrscheinlich Hilfe nötig.
Nach dem Kurs hatte ich eine Freistunde und Eric kam mit. Als wir an einem Schwarzen Brett vorbeikamen, zeigte Eric mir einen knallorangefarbenen Flyer. MACBETH, stand da, WIR BRAUCHEN HELFER! RUHM FÜR LAU, KEIN AUSWEN-DIGLERNEN!
»Komm, mach doch mit«, sagte Eric. »Als Bühnenarbeiter muss man nicht gemocht werden.«
Der Strom der Schüler drückte mich immer näher an den
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