Blood Shot
uns dunkle Mützen tief in die Stirn und reichten uns kurz die Hände. Ihr Händedruck verriet, was ihr gleichmütiges Gesicht verbarg. Sie nickte ruhig, als ich mit einer übertriebenen Geste auf meine Uhr deutete. Ich zog meinen Revolver, entsicherte ihn und kletterte die Leiter hinauf. An der rechten Hand trug ich keinen Handschuh. Oben schob ich meinen Kopf vorsichtig über den Mauerrand. Sollte ich laut schreien, würde Miss Chigwell so schnell wie möglich zurück zum Auto rudern und Hilfe holen.
Ich befand mich auf der Rückseite der Fabrik, neben der Betonplattform, an der bei meinem letzten Besuch der Lastkahn vertäut gewesen war. Heute nacht waren die Stahltore auf dem Verladekai geschlossen und verriegelt. Zwei Scheinwerfer an den Ecken des Gebäudes durchschnitten den Nebel. Soweit ich sehen konnte, rechnete niemand mit unserem Anmarsch von der Flußseite her. Ohne die Waffe loszulassen, stemmte ich mich auf die Plattform hinauf. Dann ließ ich mich zur Seite rollen und zählte bis sechzig. Das war das Zeichen für Miss Chigwells Aufstieg. Als ihr Kopf oberhalb der Kaimauer auftauchte, nahm ich nur einen Schatten in der Dunkelheit wahr; jemand, der weiter entfernt war, würde überhaupt nichts sehen. Sie zählte bis zwanzig und kam dann ebenfalls auf die Plattform.
Die Stahltore lagen im Schatten des vorspringenden Daches. Wir schlichen an ihnen entlang, versuchten sie möglichst nicht zu berühren - das Geräusch eines Armes oder des Revolvers, der dagegenstieß, würde in der geräuschlosen Nacht einen Lärm machen wie eine Steel Band. Die Scheinwerfer verwandelten den Nebel in einen schweren Vorhang. Wir benutzten seine Falten als Schild und wandten uns der nördlichen Seite des Werks zu, an der die Klärbecken lagen. Miss Chigwell bewegte sich mit der Lautlosigkeit eines professionellen Einbrechers. Kaum waren wir um die Ecke gebogen, wurde der Nebel noch dichter und der Gestank noch beißender. Kein Lichtschein fiel auf die Becken. Wir spürten ihre ätzende Gegenwart zu unserer Rechten, wagten aber nicht, die Taschenlampe anzuknipsen. Miss Chigwell war knapp hinter mir, hielt sich an meinem Schal fest, bewegte sich katzenartig durch die Dunkelheit. Nach unendlich vielen behutsamen Schritten durch Furchen in Bergen von Schrott erreichten wir die Vorderseite der Fabrik.
Hier war der Nebel nicht mehr so dicht. Wir verkrochen uns hinter ein paar Stahltonnen und sahen uns vorsichtig um. An der Einfahrt zum Werksgelände brannte eine einzelne Lampe. Nach einer Weile machte ich dort einen Mann aus. Ein Wachtposten. Eine Ambulanz stand mitten auf dem Weg. Ich wünschte, ich hätte gewußt, ob Louisa sich noch in ihr befand.
»Kommt sie oder kommt sie nicht?«
Die unerwartete Stimme zu meiner Linken überraschte mich so sehr, daß ich fast gegen die Stahltonne gekippt wäre. Ich riß mich zitternd zusammen und versuchte, langsam zu atmen. Neben mir blieb Miss Chigwell ungerührt wie immer.
»Es ist jetzt über zwei Stunden her. Wir lassen ihr Zeit bis eins. Dann werden wir entscheiden müssen, was mit der Djiak geschehen soll.« Die zweite Stimme gehörte dem anonymen Anrufer.
»Ins Becken mit ihr. Wir können nicht noch mehr Spuren hinterlassen.«
Jetzt, da mein Herz zu einem weniger aufrührerischen Rhythmus gefunden hatte, erkannte ich den ersten Sprecher. Es war Art Jurshak, der seiner Nichte gegenüber ein starkes Familiengefühl an den Tag legte.
»Das kannst du nicht tun.« Der zweite Mann sprach mit der altbekannten Kälte in der Stimme. »Die Frau wird sowieso bald sterben. Der Doktor soll ihr eine kleine Spritze geben, und wir bringen sie zurück in ihr Bett. Ihre Tochter wird denken, daß sie in der Nacht gestorben ist.« Bei der Erwähnung des Doktors fühlte ich, daß Miss Chigwell zitterte.
»Keine Chance«, sagte Art verärgert. »Wie willst du sie zurück ins Haus schaffen, ohne daß die Tochter dich sieht? Außerdem wird sie mittlerweile bemerkt haben, daß ihre Mutter verschwunden ist. Wahrscheinlich hat sie schon die ganze Nachbarschaft aus dem Schlaf gerissen. Besser, wir lassen Louisa gleich hier verschwinden und stellen der Warshawski irgendwo anders eine Falle. Am besten wäre es, beide verschwinden zu lassen.«
»Ich mache das für dich«, sagte die kalte Stimme trocken. »Ich erledige beide, und die Tochter auch noch, wenn du willst. Aber ich kann es nicht tun, solange ich nicht weiß, warum dir soviel an ihrem Tod liegt. Es wäre moralisch nicht vertretbar.« Er hatte
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