157 - Der Alchimist des Satans
Spencer Krige war betrunken, und er genoß diesen Zustand. Seine Freunde hatten ihn getestet. Sie wollten sehen, wieviel Wein er vertrug. Er hatte zwei Liter geschafft und damit einen neuen Rekord in seiner Stammkneipe aufgestellt. So bald würde den niemand brechen.
»Soll ich dich nach Hause begleiten?« hatte Don Cassavetes, einer aus dem Freundeskreis, gefragt.
»Nicht nötig«, hatte Spencer Krige mit schwerer Zunge geantwortet. »Ich finde allein heim.«
»Ich habe kein gutes Gefühl; bei deinem Zustand.«
»Zustand? Bei was für einem Zustand denn? Es geht mir blendend. Mir ist, als würde ich schweben«, gab Krige zurück.
»Soho ist um diese Zeit ziemlich unsicher.«
»Ich brauche kein Kindermädchen«, entschied Krige. »Ich bin in Ordnung.«
Er hatte lauthals seinen Abschiedsgruß gegrölt und war aufgebrochen. Die Kälte der Nacht spürte er nicht, denn der Alkohol wärmte ihn. Er trug einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf, Kinn- und Oberlippenbart waren sorgfältig gestutzt. Bekleidet war Krige mit einem dunkelgrünen Gehrock und rostbraunen Hosen. In der Rechten hielt er einen dünnen Stock, während seine Linke helle Zwirnhandschuhe umschloß.
Krige lächelte versonnen, seine Lippen glänzten feucht, der Blick war glasig. Er hatte es seinen Freunden mal so richtig gezeigt. Von nun an würden sie sich nicht mehr über ihn lustig machen.
Er bog um die Ecke und bemühte sich um einen sicheren Gang. Natürlich hatte er Gleichgewichtsstörungen. Die mußte jeder haben, der so viel getrunken hatte, doch er torkelte nicht von einer Straßenseite zur anderen.
Leise vor sich hin kichernd, näherte er sich einer dunklen Hauseinfahrt und vernahm das verhaltene Stöhnen eines Menschen. Krige stutzte. Seine Augen versuchten die Dunkelheit zu durchdringen. Soho war - da hatte Don Cassavetes schon recht - ein gefährliches Pflaster, vor allm nachts, wenn sich in den engen, finsteren Straßen das lichtscheue Gesindel herumtrieb.
Man konnte ausgeraubt, verschleppt oder gar ermordet werden. Sohos übler Ruf kam nicht von ungefähr.
Krige ignorierte das Stöhnén nicht. Jemand brauchte Hilfe, und Krige wollte sich nicht vor der Pflicht, für seinen Nächsten dazusein, drücken.
Er nahm den Stock etwas fester in die Hand und betrat die Einfahrt, in der eine undurchdringliche Schwärze lastete. Mit vorsichtig gesetzten Schritten näherte er sich den unregelmäßig ausgestoßenen Stöhnlauten.
Plötzlich war es still. Hatte die Person, die eben noch gestöhnt hatte, das Bewußtsein verloren? Oder gar… das Leben? Krige schauderte.
Er verwendete den Stock zum Tasten, tappte vorwärts Und nahm einen Augenblick später eine rasche Bewegung wahr.
Der Schlag mit dem Bleirohr fällte Spencer Krige, ehe er reagieren konnte.
Er schien einem gewöhnlichen Verbrechen zum Opfer gefallen zu sein, doch das Schicksal hatte noch Schlimmeres mit ihm vor. Was Zacko getan hatte, war erst der Anfang.
Ereignet hatte sich das Ganze am 12. Mai 1838.
***
In letzter Zeit waren einige Rechnungen nicht aufgegangen. Ruf us, der Dämon mit den vielen Gesichtern, war gezwungen gewesen, sich selbst zu zerstören; Loxagon, der Sohn des Teufels, hatte sein Ziel - Por, der sich in Thar-pex befand, zu töten - nicht erreicht, und Frank Esslin sowie der Lavadämon Kayba, der Loxagon unterstützen wollten, mußten Reißaus nehmen, als wir sie frontal angriffen. Wir hatten einen Sieg über die Vertreter der schwarzen Macht errungen, auf den wir stolz sein konnten. Der Wermutstropfen dabei war, daß wir Boram, den Nessel-Vampir, verloren hatten. [1]
Wir hatten ihn als Kundschafter vorgeschickt, weil das niemand besser als er erledigen konnte, doch der weiße Vampir war in eine Feuerfalle geraten, und die Hitze brachte ihn zum Verdampfen.
Wir hatten das zwar nicht gesehen, aber wir mußten es annehmen, weil wir seither von Boram nichts mehr gesehen oder gehört hatten.
Boram… vernichtet!
So sah es aus, aber entsprach es den Tatsachen?
Wir mußten uns Gewißheit verschaffen. Dazu war es nötig, daß wir die Katakomben von St. George in Hillingdon noch einmal aufsuchten. Wir hatten das schon früher tun wollen, aber es war uns jemand dazwischengekommen: Ragamm, der Killer mit den Teufelszangen.
Erst nachdem wir ihm den Garaus gemacht hatten, konnten wir uns wieder auf Boram besinnen. Es ging mir gegen den Strich, einfach zur Kenntnis zu nehmen, daß es die Dampfgestalt nicht mehr gab. Eine innere Stimme befahl mir, die Flinte noch
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