Blood Shot
von den Ausländern übers Ohr gehauen zu werden.«
»Ich wollte auch schon immer mal nach Florenz. Meine Mutter stammte aus einer kleinen Stadt in der Toskana. Meine Ausrede ist, daß ich nie genug Geld für den Flug habe.« Ich beugte mich vor und fuhr fort: »Sie haben Ihrem Bruder fast Ihr ganzes Leben geopfert. Jetzt sollten Sie den Rest nicht damit verbringen, eine brennende Kerze ins Fenster zu stellen und auf ihn zu warten. Wenn ich neunundsiebzig wäre und gesund, und wenn ich ein bißchen Geld hätte, wäre ich mit Paß und Koffer am Flughafen, und zwar heute noch.«
»Ja, Sie würden das tun«, stimmte sie mir zu. »Sie haben Mut.«
Kurz danach verabschiedete ich mich und fuhr mit schmerzenden Schultern zurück nach Chicago. Vielleicht sollte ich der Polizei endlich reinen Wein einschenken. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich Bobby meine Geschichte verklickern würde: »Sie haben alle diese Blutuntersuchungen bei den Arbeitern durchgeführt und jetzt haben sie Angst, jemand bekommt Wind davon und verklagt sie, weil sie verheimlicht haben, wie giftig das Xerxin wirklich ist.« Und Bobby würde mild lächeln und antworten: »Ich weiß, daß du die alte Frau ins Herz geschlossen hast, aber ganz offensichtlich hat sie seit Jahren einen Zorn auf ihren Bruder. Ich würde nicht alles, was sie sagt, für bare Münze nehmen. Woher weißt du überhaupt, daß es wirklich seine Notizen sind? Sie hat einige ärztliche Erfahrung, sie könnte sie gefälscht haben, um ihm Ärger zu machen. Dann verschwindet er, und sie dreht sie dir an. Verdammt« - nein, Bobby würde in meiner Gegenwart nie fluchen -, »Mensch, Vik-ki, vielleicht haben sie sich einmal zu oft gestritten, und sie hat ihm mit der Bratpfanne den Schädel eingeschlagen. Anschließend hat sie's mit der Angst gekriegt und ihn verscharrt. Dann hat sie dich angerufen und dir erzählt, er sei verschwunden. Du hast einen Narren an dem alten Fräulein gefressen und glaubst alles, was sie dir erzählt.«
Und wer konnte mit Sicherheit behaupten, daß es nicht genauso gewesen war? Jedenfalls war ich davon überzeugt, daß es Bobby so sehen würde, bevor er eine so bedeutende Persönlichkeit Chicagos wie Gustav Humboldt verdächtigen würde. Ich konnte Murray die ganze Geschichte auftischen, er hätte keine Skrupel wegen Humboldt, aber ebensowenig hätte er Skrupel, was das Privatleben der Betroffenen anging. Ich wollte ihm nichts in die Hand geben, was Louisa in die Schlagzeilen bringen konnte.
Ich fuhr zu meiner Wohnung, um Mr. Contreras über den Verlust von Art junior hinwegzuhelfen und um Peppy zu sehen. Es war schon zu dunkel, als daß ich mich noch mit ihr hinausgewagt hätte. Sie war ruhelos wie jeder an Bewegung gewöhnte Hund, der nicht genug Auslauf hat. Ein weiterer Grund, die Sache mit Humboldt zu Ende zu bringen.
Wieder kontrollierte ich, ob mir jemand folgte - das schien nicht der Fall zu sein. Aber es erleichterte mich nicht. Vielleicht warteten sie, bis Troy und Wally auf Kaution freikamen. Oder sie waren zu der Überzeugung gelangt, daß es einer etwas größeren Anstrengung bedurfte -eine Bombe in meinem Auto oder in Lottys Wohnung -, um mich aus dem Weg zu räumen. Für diesen Fall parkte ich in einiger Entfernung von ihrer Wohnung und legte den Rest des Weges im Bus zurück.
Zum Abendessen machte ich eine Frittata, die besser gelang als das Huhn. Ich schilderte Lotty meine diversen Dilemmata: Wie sollte ich Humboldt und Jurshak dingfest machen, und sollte ich Caroline erzählen, daß ich ihren Vater gefunden hatte?
»Hinsichtlich Mr. Humboldt kann ich dir nicht raten. Da mußt du dir schon selbst was einfallen lassen. Was Caroline angeht, bin ich der Meinung, daß es immer besser ist, die Menschen erfahren die Wahrheit. Die Wahrheit ist in diesem Fall schrecklich, da hast du sicher recht. Aber sie ist kein schwacher Mensch. Und du kannst nicht für sie entscheiden, was sie wissen darf und was nicht. Zum einen kann sie die Tatsachen von jemand anderem auch erfahren, und das wird viel grausamer für sie sein, zum anderen stellt sie sich womöglich Dinge vor, die noch viel schlimmer sind. An deiner Stelle würde ich ihr reinen Wein einschenken.«
Damit hatte sie meine eigenen Gedanken sehr entschieden artikuliert. Ich nickte. »Danke, Lotty.«
Den Rest des Abends verbrachten wir schweigend. Lotty las Zeitung, ich tat nichts. Ich hatte das Gefühl, als ob mein Gehirn von einem bleiernen Schild umgeben wäre, von einer schützenden Hülle,
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