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Blood Shot

Blood Shot

Titel: Blood Shot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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zu erklären. »Sie ist die Person, die ich nie anlüge. Sie ist nicht mein Gewissen, sondern der Mensch, der mir hilft, mich so zu sehen, wie ich wirklich bin.«
    Er antwortete erst, als wir den Kennedy Expressway verließen. »Ja, ich verstehe. Für mich war das mein Großvater. Ich habe gerade versucht, mich in Ihre Lage zu versetzen. Ich an ihrer Stelle würde auch zu ihr gehen.«
    Das hatte er nicht im Seminar gelernt. Ich erkundigte mich nach seinem Großvater. Er war vor fünf Jahren gestorben.
    »Eine Woche, bevor ich befördert wurde. Das hat mich so verrückt gemacht, daß ich am liebsten gekündigt hätte. Warum haben sie es mir nicht gesagt, als er noch lebte und sich mit mir darüber gefreut hätte? Aber dann hörte ich ihn sagen: >Wofür hältst du dich, Johnnie? Glaubst du, daß Gott das Universum lenkt und dabei nur dich im Auge hat?<« Er lachte leise. »Das habe ich noch nie einer Menschenseele erzählt.« Er hielt vor Lottys Wohnung.
    »Wie kommen Sie nach Hause?« fragte ich.
    »Ich werde einen Streifenwagen rufen. Die freuen sich über jede Abwechslung, selbst wenn sie darin besteht, mich nach Hause zu fahren.«
    Er hielt mir die Autoschlüssel entgegen. Im Licht der Straßenlampe sah ich, wie er seine Augenbrauen fragend in die Höhe zog. Ich beugte mich zu ihm hinüber, umarmte und küßte ihn. Er roch nach Leder und Schweiß, menschliche Gerüche, die mich noch näher zu ihm hinzogen. So saßen wir eine Weile, bis mich der Aschenbecher, der sich in meine Seite bohrte, zu sehr schmerzte. »Danke fürs Nachhausebringen, Sergeant.«
    »War mir ein Vergnügen, Warshawski. Stets dein Freund und Helfer.« Ich bot ihm an, mitzukommen und von Lottys Wohnung aus einen Streifenwagen zu rufen, aber er lehnte ab, sagte, er brauche die Nachtluft und würde von einer Telefonzelle aus anrufen. Er sah zu, wie ich die Haustür aufschloß, winkte und ging davon.
    Lotty saß im Wohnzimmer, trug noch immer den dunklen Rock und den Pullover, den sie vor sieben Stunden angezogen hatte, als sie ins Krankenhaus gefahren war. Als sie mich sah, legte sie die Zeitung aus der Hand, in der sie gelesen hatte.
    Ich fühlte mich augenblicklich zu Hause und war froh, nicht mit zu McGonnigal gegangen zu sein. Während sie mir heiße Milch einflößte, erzählte ich ihr, was geschehen war, von der seltsamen Fahrt den Fluß hinauf, von meinen Ängsten, von Miss Chigwells unbezwingbarem Mut. Als ich zu Chigwell kam, legte sie die Stirn in tiefe Falten. Lotty weiß, daß es Ärzte gibt, die Verrat an ihren Patienten begehen, aber sie will nichts über sie hören. »Am schlimmsten war es, als Louisa aufwachte und mich mit Gabriella verwechselte«, sagte ich, als sie mich ins Gästezimmer führte. »Ich will nie wieder dorthin zurück, nie wieder nach South Chicago und den Dreck der Djiaks aufputzen, so wie es meine Mutter getan hat.«
    »Das fällt dir ein bißchen spät ein, meine Liebe. Seit einem Monat tust du nichts anderes.«
    Ich verzog das Gesicht - vielleicht wäre ich mit dem Sergeant doch besser bedient gewesen. Lotty deckte mich zu, und ich war eingeschlafen, bevor sie das Licht gelöscht hatte. Ich träumte von waghalsigen Bootspartien, von riesigen Klippen, die ich erklimmen mußte, während mich aus der Luft Adler angriffen, und von Lotty, die mich oben erwartete und sagte: »Das fällt dir ein bißchen spät ein, nicht wahr,
    Vic?«
    Als ich am nächsten Tag um ein Uhr mittags aufwachte, war ich nicht ausgeruht. Ich blieb liegen, verschlafen, lethargisch, geistig wie physisch erstarrt. Ich wollte schlafen, bis Lotty nach Hause kam und sich um mich kümmerte. Die letzten Wochen hatten mir jeglichen Spaß an meinem Beruf geraubt. Ich wußte keinen Grund, warum ich ihn nicht auf der Stelle an den Nagel hängen sollte.
    Wenn ich den Traum meiner Mutter hätte erfüllen können, wäre ich jetzt eine der berühmtesten Opernsängerinnen der Welt und würde auf der Bühne mit James Levine flirten. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, talentiert, verwöhnt und reich zu sein. Und wenn Gustav Humboldt hinter mir her wäre, würde mein Pressesprecher ein paar bitterböse Zeilen für die Times verfassen und den Polizeichef anrufen - der zudem mein Liebhaber wäre -, um Humboldt einen Dämpfer versetzen zu lassen. Und wenn ich völlig erschöpft wäre, würde jemand anders für mich auf geschwollenen Füßen ins Badezimmer stolpern und den Kopf unter den Kaltwasserhahn halten. Dieser jemand würde für mich telefonieren,

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