Blood Shot
Motor an und schaltete die Heizung an. Als meine Zehen wieder warm waren, fuhr ich die Hundertzwölfte Straße hinunter und bog dann nach Westen in die Avenue L ein. Dort lebte Louisas Schwester Connie mit ihrem Mann Mike und ihren fünf Kindern. Wenn ich schon die South Side abklapperte, konnte ich sie auch noch mitnehmen.
Connie war fünf Jahre älter als Louisa. Als ihre Schwester schwanger wurde, hatte sie noch zu Hause gewohnt. Hier wohnte man bei seinen Eltern, bis man heiratete. Connie blieb sogar noch bei ihren Eltern, nachdem sie geheiratet hatte; sie und ihr Mann sparten, bis sie sich ein eigenes Haus leisten konnten. Als sie schließlich das Vierzimmerhaus kauften, gab Connie ihre Arbeit auf, um Mutter zu werden - auch das in guter South-Side-Tradition. Verglichen mit ihrer Mutter, war Connie eine ziemliche Schlampe. Auf dem winzigen Rasen vor dem Haus war ein Basketballfeld angelegt, und sogar meinem ungeübten Auge fiel auf, daß die Veranda in letzter Zeit nicht gescheuert worden war. Die Scheiben in der äußeren Tür und den Fenstern glänzten jedoch streifenfrei, und kein Fingerabdruck verunzierte die hölzernen Rahmen.
Connie lächelte, als sie mich sah, aber ihre Verlegenheit ließ darauf schließen, daß sie eventuell kürzlich vor mir gewarnt worden war.
»Oh. Oh, du bist es, Vic. Ich - ich wollte eigentlich gerade zum Einkaufen.«
Sie hatte ein längliches, schmales Gesicht, und man sah es gleich, wenn sie log. Ihre Haut - voller Sommersprossen wie die ihrer Nichte -hatte sich rot verfärbt.
»Wie schade«, erwiderte ich trocken. »Es ist mindestens zehn Jahre her, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Ich habe gehofft, ich würde auch Mike und die Kinder mal zu Gesicht bekommen.«
Sie stand in der offenen Tür. »Oh. Du bist bei Louisa gewesen, nicht wahr? Ma - Ma hat es mir erzählt. Es geht ihr nicht gut.«
»Louisas Zustand ist furchtbar schlecht. Caroline sagt, man kann nichts mehr für sie tun, außer es ihr so angenehm wie möglich machen. Ich wünschte, ich hätte es früher gewußt, dann wäre ich schon vor Monaten gekommen.«
»Tut mir leid ... wir haben nicht geglaubt - Louisa wollte dich nicht belästigen, und Ma wollte nicht - dachte nicht -« Sie brach ab, röter als je zuvor.
»Deine Mutter wollte nicht, daß ich Unruhe stifte. Ich verstehe. Aber jetzt bin ich nun mal da und stifte Unruhe, so oder so. Weshalb verschiebst du also das Einkaufen nicht fünf Minuten und unterhältst dich mit mir?«
Während ich sprach, hatte ich mich der Tür behutsam genähert. Sie wich unsicher zurück. Ich folgte ihr ins Haus.
»Ich - möchtest du eine Tasse Kaffee?« Sie stand da, knetete die Hände wie ein Schulmädchen vor einem feindlich gesonnenen Lehrer und nicht wie eine Frau an die Fünfzig.
»Herzlich gern«, sagte ich tapfer, in der Hoffnung, daß meine Nieren noch eine weitere Tasse verkraften würden.
»Hier sieht es aus wie in einem Saustall«, entschuldigte sich Connie und hob ein Paar Turnschuhe auf, die mitten im Flur lagen.
Ich entschuldigte mich nie bei meinen Besuchern - jeder sieht sowieso gleich, daß ich die Kleider nicht aufgeräumt oder die Zeitungen nicht hinausgetragen oder seit zwei Wochen nicht gesaugt habe. In Connies Fall war schwer ersichtlich, wovon sie sprach; außer den Turnschuhen lag nichts herum. Auf dem Weg durch das Wohnzimmer in den hinteren Teil des Hauses bemerkte ich nur gescheuerte Böden, Stühle, die im rechten Winkel zueinander standen, auf Tischen und Regalen lagen weder Bücher noch Zeitungen herum.
In der Küche setzte ich mich an den grünen Resopaltisch, während sie eine elektrische Kaffeemaschine in Gang setzte. Diese kleine Abweichung vom Verhalten ihrer Mutter entzückte mich: Wenn sie den Sprung vom Wasserkochen zur Kaffeemaschine geschafft hatte - wer weiß, wieweit sie dann noch gehen würde.
»Du und Louisa, ihr wart euch nie sehr ähnlich, oder?« fragte ich sie ohne weitere Vorrede.
Sie wurde wieder rot. »Sie war immer die Hübsche. Wenn man hübsch ist, erwarten die Leute nicht soviel von einem.«
Die bissige Taktlosigkeit dieser Antwort war nahezu unerträglich. »Soll das etwa heißen, daß deine Mutter nicht verlangt hat, sie soll im Haushalt helfen?«
»Na ja, sie war jünger, verstehst du. Sie hat nicht soviel arbeiten müssen wie ich. Aber du kennst ja meine Mutter. Alles wurde jeden Tag geputzt, egal, ob es benutzt worden war oder nicht. Wenn sie sich über uns geärgert hat, mußten wir die Unterseite
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