Blood Shot
Heuchelei. Sie hat mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg gehalten, als Ma und Pa mich rauswarfen.«
»Warum haben sie das getan?« fragte ich. »Waren sie nur sauer auf dich, weil du schwanger warst, oder hatten sie irgend etwas gegen den Jungen - den Vater?«
Eine Weile sagte sie nichts, sondern starrte nur auf den Fernseher. Schließlich wandte sie sich wieder mir zu. »Ich könnte dich mit einem Fußtritt zur Hintertür hinausbefördern, weil du die alten Geschichten wieder aufwärmst.« Sie sprach ruhig. »Ich weiß, wie der Hase läuft. Ich kenne Caroline und weiß, wie sie dich immer um den Finger gewickelt hat. Sie hat dich hierher beordert, nicht wahr - sie will wissen, wer ihr Vater ist. Verdorbenes, dummes, kleines Miststück. Als sie selbst auf Granit biß, hat sie dich geholt. War's nicht so?«
Mein Gesicht glühte vor Verlegenheit, aber ich sagte leise: »Glaubst du nicht, daß sie das Recht hat, es zu wissen.«
Sie kniff den Mund zusammen. »Vor sechsundzwanzig Jahren hat ein gottverdammtes Arschloch versucht, mein Leben zu ruinieren. Ich will nicht, daß Caroline in seine Nähe kommt. Und wenn du die Tochter deiner Mutter bist, Victoria, wirst du alles daran setzen, daß Caroline nicht weiter herumschnüffelt, anstatt ihr noch dabei zu helfen.« Tränen glitzerten in ihren Augen. »Ich liebe das Kind. Glaubst du, ich hätte sie je geschlagen? Glaubst du, ich würde sie hinauswerfen können, anstatt sie zu beschützen? Ich hab' alles daran gesetzt, daß es ihr im Leben besser geht als mir, und ich werde nicht dabei zusehen, wie das jetzt zunichte gemacht wird.«
»Du hast gute Arbeit geleistet, Louisa. Aber sie ist erwachsen und braucht deinen Schutz nicht mehr. Kannst du sie nicht ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen?«
»Verdammt noch mal, nein, Victoria! Und wenn du nicht damit aufhörst, dann sieh zu, daß du hier rauskommst, und laß dich nicht wieder blicken!«
Unter der grünlichen Haut rötete sich ihr Gesicht, und sie begann zu husten. Bei den Djiak-Frauen trat ich heute in jedes Fettnäpfchen. Angefangen bei der Ältesten, waren alle der Reihe nach auf mich wütend geworden. Fehlte nur noch, daß ich Caroline den Auftrag kündigte, dann wäre die Jüngste auch noch dabei.
Ich wartete, bis der Anfall vorüber war, und wechselte zu einem Thema, über das Louisa gern sprach, die Zeit nach Carolines Geburt. Nach der Unterhaltung mit Connie verstand ich, warum Louisa an dieser Zeit der Freiheit und Lebenslust Gefallen gefunden hatte.
Um vier Uhr ging ich schließlich. Auf der langen Fahrt durch den abendlichen Berufsverkehr nach Hause hörte ich Caroline und Louisa im Geiste debattieren. Für Louisas vehementen Wunsch, ihr Privatleben zu schützen, brachte ich Verständnis auf; zudem lag sie im Sterben, das verlieh ihrem Wunsch noch mehr Gewicht. Gleichzeitig konnte ich auch Carolines Angst vor Verlassenheit und Einsamkeit nachempfinden. Und nachdem ich die Djiaks wieder einmal aus der Nähe gesehen hatte, verstand ich, warum sie sich nach anderen Verwandten sehnte. Auch wenn ihr Vater sich als absoluter Widerling erweisen sollte, konnte er keine wahnsinnigere Familie haben als die ihrer Mutter. Schließlich entschloß ich mich, die beiden Männer zu suchen, die Louisa gestern abend und heute nachmittag erwähnt hatte - Steve Ferraro und Joey Pankowski. Die drei hatten zusammen bei Xerxes gearbeitet, und möglicherweise hatte ihr Liebhaber ihr den Job vermittelt. Außerdem wollte ich versuchen, den Angestellten des Lebensmittelladens aufzutreiben, den Connie erwähnt hatte - Ron Sowling oder so ähnlich. East Side war eine so stabile, änderungsresistente Gegend, daß es nicht ausgeschlossen war, daß der Laden noch immer denselben Leuten gehörte und sie sich an Ron und Louisa erinnerten. Wenn Ed Djiak auch dort seine schweren väterlichen Geschütze aufgefahren hatte, konnte das einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen haben.
Eine Entscheidung zu treffen, auch wenn sie nur ein Kompromiß ist, bedeutet eine gewisse Erleichterung. Ich rief einen alten Freund an und verbrachte einen angenehmen Abend in der Lincoln Avenue. Die Blase an meiner rechten Ferse hielt mich nicht davon ab, bis nach Mitternacht zu tanzen.
6
Die Fabrik am Calumet
Am nächsten Morgen war ich - zumindest für meine Verhältnisse - früh auf den Beinen. Um neun Uhr hatte ich bereits die Gymnastik hinter mir, auf das Joggen verzichtete ich. Um der Wirtschaftswelt würdig entgegenzutreten, zog ich ein
Weitere Kostenlose Bücher