Blood Shot
immer in dem schmucken, zweistöckigen Ziegelbau in der Avenue M. Polizisten gingen ein und aus, mal in der einen Angelegenheit, mal in einer anderen, und obwohl das Revier meines Vaters an der North Milwaukee Avenue gewesen war, hatte ich mehr als einmal dieses Gebäude mit ihm zusammen betreten. Unverändert prangte auf der Nordseite das Schild, das bekanntgab, daß Art Jurshak Stadtrat und Freddy Parma Mitglied des Bezirkskomitees waren. Und das Haus nebenan beherbergte noch immer die Versicherungsagentur, von wo aus Art den Einstieg in die Stadtpolitik geschafft hatte.
Ich klopfte den Schlamm vom rechten Schuh und zog die Pumps wieder an. Meinen Rock säuberte ich, so gut es ging, mit einem Taschentuch, und dann betrat ich das Gebäude. Von den drei Männern, die sich im Büro im ersten Stock aufhielten, erkannte ich keinen, aber nach Alter und Aussehen zu urteilen, gehörten sie zur Einrichtung und waren wahrscheinlich schon hier gewesen, als ich Kind war. Einer von ihnen, ein angegrauter Mann, der eine dieser dicken, kurzen Zigarren rauchte, an der man früher den demokratischen Politiker erkannt hätte, war in die Sportseiten vertieft. Die anderen beiden, der eine mit Glatze, der andere mit weißem Wuschelkopf, führten ein ernstes Gespräch. Trotz der unterschiedlichen Haartracht, sahen sie einander erstaunlich ähnlich, beide hatten glattrasierte rosa Hängebacken und vierzigpfündige Bäuche, die nachlässig über den Gürteln ihrer glänzenden Hosen hingen.
Sie warfen mir einen Blick zu, als ich eintrat, sagten aber kein Wort: Ich war eine Frau und eine Fremde. Falls ich vom Büro des Bürgermeisters kam, würde es mir nicht schaden, wenn ich mir erst mal die Beine in den Bauch stand; falls ich nicht vom Bürgermeister kam, nützte ich ihnen sowieso nichts. Die beiden unterhielten sich über die Vorzüge ihrer Kleintransporter, welcher war besser, Chevrolet oder Ford? Niemand hier kauft ein ausländisches Auto; das wäre schlechter Stil angesichts von fünfundsiebzig Prozent arbeitslosen Stahlarbeitern. »Hallo«, sagte ich laut.
Sie blickten widerwillig auf. Der Zeitungsleser rührte sich nicht, außer daß er erwartungsvoll umblätterte.
Ich zog einen Stuhl zu mir und setzte mich. »Ich bin Rechtsanwältin«, sagte ich. Die Karte, die ich aus meiner Tasche holte, schien sie nicht zu interessieren. »Ich bin auf der Suche nach zwei Männern, die vor ungefähr zwanzig Jahren hier gewohnt haben.«
»Da sollten Sie sich besser an die Polizei wenden, Süße - wir sind hier nicht das Fundbüro«, sagte der Glatzköpfige.
Die Zeitung raschelte zustimmend.
Ich schlug mir gegen die Stirn. »Verdammt! Sie haben ja so recht. Als ich noch hier in der Gegend wohnte, hat Art Gemeindemitgliedern in Not immer geholfen. Da sieht man mal, wie sich die Zeiten geändert haben.«
»Ja, nichts ist mehr so wie früher.« Glatze schien der designierte Sprecher zu sein.
»Abgesehen davon, daß ein Wahlkampf nach wie vor unglaublich teuer ist, soweit ich weiß«, meinte ich mit Trauer in der Stimme.
Glatze und Weißhaar tauschten argwöhnische Blicke: Versuchte ich, mich ehrenhaft zu verhalten und ihnen etwas Bargeld über den Tisch zu schieben, oder gehörte ich zu den vom Staat geschickten Fallenstellern, die hofften, Art Jurshak zu schnappen, weil er angeblich die Bürgerschaft um ihren letzten Pfennig brachte? Weißhaar nickte kaum merklich.
Glatze sprach. »Warum suchen Sie nach den Jungs?«
Ich zuckte die Achseln. »Das Übliche. Ein uralter Autounfall aus dem Jahr 1980. Die Sache ist jetzt endlich geregelt. Viel Geld ist es nicht, zweitausendfünfhundert Dollar für jeden. Nicht der Mühe wert, sie aufzuspüren, und wenn sie über fünfundsechzig sind, kriegen sie sowieso ihre Rente.«
Ich stand auf, wußte aber, daß die kleinen Rechenmaschinen in ihren Köpfen zu rattern begannen; der Zeitungsleser nahm, ohne den Sportmeldungen weiter Beachtung zu schenken, an der telepathischen Übung teil. Wenn sie mir helfen würden, wieviel würde für sie rausspringen? Sagen wir sechshundert, das wären zweihundert für jeden. Die beiden anderen nickten, und wieder ergriff Glatze das Wort. »Wie sag ten Sie, daß sie heißen?«
»Ich sagte gar nichts. Aber Sie haben wahrscheinlich recht - ich sollte besser bei der Polizei nachfragen.« Langsam ging ich zur Tür.
»Warten Sie einen Moment, Schwester. Verstehen Sie keinen Spaß?«
Ich drehte mich um und blickte unsicher in die Runde. »Na, wenn Sie meinen ... Sie
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