Blood Shot
in ihrem ausgezehrten, strengen Gesicht hatten die aufreibenden Ereignisse der vergangenen Tage keine Spuren hinterlassen. Ohne zu lächeln, bedankte sie sich für mein Kommen, aber da ich sie bereits ein bißchen kannte, wußte ich, daß ihr rauhes Benehmen nicht so unfreundlich gemeint war, wie es wirkte.
»Ich habe mir gerade Tee gemacht. Mein Bruder sagt mir ständig, daß es ein Zeichen von Schwäche ist, zu Stimulanzen zu greifen, wenn man Probleme hat, aber ich glaube, ich habe bewiesen, daß ich mehr aushalte als er. Möchten Sie auch eine Tasse?«
Einmal Tee pro Tag war genug. Deswegen lehnte ich so höflich wie möglich ab und folgte ihr ins Wohnzimmer. Dort herrschte eine Art von gemütlicher Häuslichkeit, die einer Courts-Mahler würdig gewesen wäre. Die warmen Farben des Kaminfeuers brachen sich auf der silbernen Oberfläche des Teegeschirrs. Miss Chigwell bat mich, in einem der mit Chintz bezogenen Sessel vor dem Kamin Platz zu nehmen. »Zu meiner Zeit lebten junge Frauen ausschließlich für Haushalt und Familie«, sagte sie ohne weitere Einleitung und schenkte Tee in eine durchscheinende Porzellantasse. »Es wurde erwartet, daß wir heirateten. Mein Vater hatte hier eine Arztpraxis, als Hinsdale noch eine eigene kleine Stadt war, nicht ein Teil von Chicago. Ich half ihm. Mit sechzehn konnte ich einfache Brüche einrichten und fiebrige Erkrankungen behandeln. Aber als es darum ging, wer aufs College gehen und Medizin studieren sollte, war Curtis an der Reihe. Nachdem Vater 1939 gestorben war, versuchte Curtis, die Praxis aufrechtzuerhalten. Da er als Arzt nicht besonders gut war, blieben immer mehr Patienten weg, und er mußte schließlich die Stelle im Werk annehmen.« Sie warf mir einen wilden Blick zu. »Wie ich sehe, sind Sie eine sehr aktive junge Frau. Sie machen, was Sie wollen, und ein einfaches Nein lassen Sie als Antwort nicht gelten. Ich wünschte, ich hätte in Ihrem Alter Ihr Rückgrat gehabt, das ist alles.«
»Ich verstehe Sie. Aber ich hatte Hilfe. Meine Mutter kam allein in ein fremdes Land, dessen Sprache sie nicht verstand, das einzige, was sie konnte, war singen. Sie wäre hier beinahe umgekommen, und deswegen tat sie alles, damit ich nie so hilflos und ängstlich sein würde wie sie. Glauben Sie mir, das macht einen Riesenunterschied. Sie verlangen zuviel von sich, wenn Sie glauben, Sie hätten es ganz allein schaffen müssen.«
Miss Chigwell trank Tee in großen Schlucken, ihre linke Hand ballte sich zur Faust und öffnete sich wieder. Schließlich hatte sie sich wieder so weit unter Kontrolle, um fortfahren zu können. »Wie Sie sich denken können, habe ich nie geheiratet. Meine Mutter starb, als wir siebzehn waren. Ich führte meinem Vater und später Curtis den Haushalt. Ich lernte sogar Schreibmaschineschreiben, damit ich ihnen bei der Arbeit helfen konnte.« Sie lächelte freudlos. »Es interessierte mich nicht, was Curtis in der Fabrik machte. Mein Vater war ein solider Landarzt gewesen. Aber Curtis hat vermutlich nichts anderes getan, als Fieber zu messen - bei Leuten, die einen Grund für eine Krankschreibung brauchten. 1955, als er diese detaillierten Akten anlegte, hatte ich keine Ahnung mehr, was medizinisch aktuell war. Seit meiner Kindheit hatte sich zuviel verändert. Aber ich konnte immer noch tippen, und deshalb tippte ich alles, was er nach Hause brachte.«
Bei ihrer Geschichte fröstelte es mich ein wenig, und dankbar dachte ich an meine Mutter. Stark, entschlossen, reizbar wie sie war, war es nie leicht mit ihr gewesen, aber von Anfang an hatte sie fest an mich und daran, daß ich im Leben etwas erreichen konnte, geglaubt.
Miss Chigwell mußte meine Gedanken erraten haben. »Sie brauchen mich nicht zu bedauern. Ich habe in meinem Leben viele schöne Augenblicke erlebt. Und ich schwelge nie wie Curtis in Selbstmitleid - was eine wesentlich größere Schwäche ist, als Tee zu trinken.«
Eine Weile saßen wir schweigend da. Sie schenkte sich eine zweite Tasse Tee ein, trank ihn langsam in kleinen Schlucken und starrte dabei ins Feuer. Als die Tasse leer war, stellte sie sie mit einer entschlossenen Handbewegung ab und schob das Tablett zur Seite. »Ich will Sie nicht länger aufhalten mit meinem Gerede. Sie sind die weite Strecke hierhergefahren, und ich sehe, daß Sie Schmerzen haben, obwohl Sie es sich nicht anmerken lassen wollen.« Sie stand auf, und es schien ihr trotz ihres Alters kaum Mühe zu kosten.
Langsam und steif tat ich es ihr gleich und
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