Blood Shot
dachte, er wohnt bei Ihnen.«
»Das tut er, selbstverständlich. Aber, na ja, ich brachte ihn am Dienstag ins Krankenhaus. Es ging ihm nicht besonders schlecht, deswegen wurde er am Mittwoch wieder entlassen. Die Geschichte war ihm furchtbar peinlich, und er wollte mir nicht beim Frühstück begegnen und so, und deswegen zog er zu Freunden. Und um ehrlich zu sein, Miss Warshawski, ich bin froh, ihn für ein paar Tage loszuhaben.«
Kappelman kam auf mich zu und reichte mir einen Zettel, auf dem er mir mitteilte, daß er zu Mr. Contreras gehe, um die Erlaubnis für unser gemeinsames Abendessen einzuholen. Ich nickte und bat Miss Chigwell fortzufahren.
Sie holte hörbar Luft. »Freitags bin ich immer im Krankenhaus. Wir arbeiten dort ehrenamtlich, ältere Damen, die nicht mehr - aber darüber wollen Sie jetzt wahrscheinlich nichts hören. Als ich zurückkam, sah ich sofort, daß jemand eingebrochen hatte.«
»Und Sie haben die Polizei gerufen und sind bei einer Freundin geblieben, bis sie eintraf?«
»Nein. Nein. Weil ich gleich bemerkte, daß es Curtis gewesen sein muß. Oder weil er jemand hereingelassen hat, der das Haus nicht so gut kannte, um nicht doch Spuren zu hinterlassen.«
Diese verworrene Schilderung machte mich ungeduldig. Ich unterbrach sie und fragte, ob irgendwelche Wertgegenstände fehlten.
»Nein, das nicht. Aber Curtis' medizinische Aufzeichnungen fehlen. Nachdem er versucht hatte, sie zu verbrennen, habe ich sie vor ihm versteckt, und deshalb -« Sie unterbrach sich. »Ich kann das so schlecht erklären. Deshalb habe ich gehofft, Sie würden vorbeikommen, obwohl es eine ziemliche Strecke ist und sie bestimmt noch nicht bei Kräften sind. Ich bin sicher, daß das, worin Curtis bei Xerxes verwickelt war und worüber er nicht sprechen wollte, in seinen Notizbüchern steht.«
»Die jetzt verschwunden sind.«
Sie lachte kurz auf. »Nur die Abschriften. Die Originale habe ich. Ich habe all die Jahre diese Aufzeichnungen für ihn abgetippt und ihm nie erzählt, daß ich die Originale aufgehoben habe. Sehen Sie, er hat alles in die alten ledernen Tagebücher geschrieben, die mein Vater sich aus London hatte schicken lassen. Curtis wäre entsetzlich wütend geworden, wenn er erfahren hätte, daß ich sie als Andenken an meinen Vater aufbewahre. Deswegen habe ich es ihm nie gesagt.«
Ich spürte ein sachtes Prickeln im Genick; der altbekannte Adrenalinstoß, der einem klarmacht, daß man sich dem Säbelzahntiger nähert. Ich versprach, innerhalb der nächsten Stunde bei ihr zu sein.
28
Die goldenen Notizbücher
Kappelman und Mr. Contreras hatten über der Grappaflasche einen vorläufigen Waffenstillstand geschlossen. Ron stand sofort auf, als ich hereinkam, und setzte damit Mr. Contreras' weitschweifiger Anekdote darüber, wie er beim ersten Anblick eines meiner früheren Liebhaber sofort gewußt hatte, daß er eine Nummer zu klein für mich gewesen war, ein Ende. Voller Einfallsreichtum erklärte ich, daß ich einen dringenden Anruf von einer entfernten Tante erhalten hätte und daß ich mich unbedingt um sie kümmern müsse.
»Ihre Tante, Schätzchen? Ich dachte, Sie und Ihre - « Mr. Contreras bemerkte meinen stahlharten Blick. »Ach, Ihre Tante. Geht es ihr schlecht?«
»Sie sorgt sich um mich«, sagte ich bestimmt. »Sie ist die einzige noch lebende Verwandte meiner Mutter, und angesichts ihres Alters kann ich sie nicht einfach hängenlassen.« Irgendwie schien es mir nicht richtig, die respekteinflößende Miss Chigwell mit meiner verrückten Tante Rosa in einen Topf zu werfen, aber man muß sich an das halten, was da ist.
Kappelman äußerte höflich seine Zustimmung - ob er mir die Geschichte abkaufte, stand auf einem anderen Blatt. Er leerte mit einem Schluck sein Glas, verzog das Gesicht, als ihm der Schnaps durch die Kehle lief, und bot mir an, mich bis zu meinem Wagen zu begleiten.
»Verwandte sind eine Plage, nicht wahr?« meinte er sarkastisch.
Er wartete geduldig, während ich mein Auto nach Bomben absuchte, und schlug in einer Geste altmodischer Höflichkeit, die im Widerspruch zu seiner abgewetzten Kleidung stand, die Tür für mich zu. Die Temperatur war knapp unter den Gefrierpunkt gefallen. Nach dem trüben Nebelwetter der letzten Wochen erfrischte mich die kalte Luft. Ein paar Schneeflocken trieben gegen die Windschutzscheibe, aber die Straßen waren trocken, und ich kam schnell über den Eisenhower Expressway zur York Road.
Miss Chigwell erwartete mich an der Haustür;
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