Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
einer abgelegenen Stelle – , aber plötzlich erstarrte ich bei der Aussicht darauf, allein durch die Dunkelheit gehen zu müssen. Brayden sagte gerade, dass er mich beim Ball sehen würde, als er meine Reaktion bemerkte.
»Was ist los?«, fragte er.
»Ich … « Ich sah die Straße hinunter. Zwei Häuserblocks. So nah stand mein Wagen. Leute waren unterwegs. Und dennoch schnürte sich mir die Kehle zu. »Würdest du mich zu meinem Wagen bringen?«
»Natürlich«, antwortete er. Er dachte nicht einmal darüber nach, aber ich kam mir den ganzen Weg bis zum Auto gedemütigt vor. Wie Adrian und Eddie gesagt hatten, benötigte ich sonst keine Hilfe. Hilfe für so etwas in Anspruch zu nehmen, das war besonders demütigend. Rose würde keine Eskorte brauchen, dachte ich. Selbst Angeline nicht. Allerdings würde sie auf dem Weg höchstwahrscheinlich einige Fußgänger zusammenschlagen, nur damit sie nicht aus der Übung kam.
»Da wären wir«, sagte Brayden, sobald wir Latte erreicht hatten. Ich fragte mich, ob er jetzt wohl schlechter von mir dachte, weil ich einen Begleiter gebraucht hatte.
»Danke. Bis Samstag dann?«
Er nickte. »Bist du dir sicher, dass wir uns erst dort treffen sollen? Ich könnte dich auch abholen.«
»Ich weiß. Und es würde mir nichts ausmachen, mit deinem Wagen zu fahren. Nichts für ungut, Latte.« Ich tätschelte beruhigend die Seite des Wagens. »Aber ich muss meinen Bruder und meine Schwester fahren. So ist es einfacher.«
»Okay«, sagte er. Das Lächeln, das er mir schenkte, war beinahe schüchtern und stand in einem deutlichen Widerspruch zu seinem eben gezeigten Selbstbewusstsein, als es um akademische Themen gegangen war. »Ich kann’s kaum erwarten, dein Kostüm zu sehen. Ich habe meins von einer Theatergesellschaft. Natürlich keine ideale Reproduktion eines athenischen Gewandes, aber das Beste, was ich finden konnte.«
Ich hatte fast vergessen, dass ich mein Kostüm ja in Lias Hände gelegt hatte. Brayden war nicht der Einzige, der sich dafür interessierte zu sehen, was ich tragen würde.
»Ich freu mich drauf«, sagte ich.
Nach einigen Sekunden fragte ich mich, warum er nicht ging. Er wirkte noch immer schüchtern und unsicher, als versuche er, den Mut aufzubringen, etwas Bestimmtes zu sagen. Nur stellte sich heraus, dass Reden nicht das war, was er im Sinn hatte. Unter Aufbietung all seines Mutes trat er schließlich an mich heran und gab mir einen Kuss. Es war nett, wenn auch wieder mal nicht gerade überwältigend.
Doch seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen war er gerade in schwindelerregende Höhen aufgestiegen. Warum reagierte ich nicht genauso? Vielleicht hatte ich doch etwas falsch gemacht. Oder mangelte es mir vielleicht an etwas?
»Bis Samstag«, sagte er.
Im Geiste machte ich mir eine Notiz, auch das Küssen auf meine Liste von Recherchethemen zu setzen.
Dann kehrte ich auf den Campus zurück und schickte Adrian auf dem Weg in mein Wohnheim eine SMS . Ein Selbstverteidigungskurs fängt morgen Abend an. Fünfundsiebzig Dollar. Trotz seines Interesses vom vergangenen Abend war ich leicht skeptisch, ob er sich schon ausreichend von seiner Depression erholt hatte, um so etwas gewachsen zu sein. Ich wusste nicht mal so recht, ob er seine Kunstkurse noch besuchte. Eine Minute später bekam ich seine Antwort. Bin da. Dem folgte eine weitere SMS : Kann ich dich anpumpen?
Zugleich mit mir betrat Jill das Wohnheim, kurz vor der Sperrstunde. Aber sie bemerkte mich nicht einmal, sondern wirkte bekümmert und nachdenklich. »He«, rief ich. »Jill?«
Sie blieb auf halbem Weg durch die Eingangshalle stehen und blinzelte überrascht, als sie mich entdeckte. »Oh, hallo! Warst du mit deinem Freund aus?«
Ich zuckte zusammen. »Ich weiß noch nicht genau, ob ich ihn jetzt schon so nennen würde.«
»Wie viele Male seid ihr ausgegangen?«
»Viermal.«
»Er geht mit dir auf den Ball?«
»Wir treffen uns dort.«
Sie zuckte die Achseln. »Klingt nach einem festen Freund.«
»Hört sich so an, als würdest du etwas aus Kristins und Julias Anleitung zum Daten zitieren.«
Dies entlockte ihr ein flüchtiges Lächeln, das aber nicht von Dauer war. »Meiner Ansicht nach ist das einfach gesunder Menschenverstand.«
Ich musterte sie und versuchte immer noch, ein Gefühl für ihre Stimmung zu bekommen. »Ist mit dir alles in Ordnung? Ich habe das Gefühl, dass dir etwas zu schaffen macht. Ist es … ist es Adrian? Ist er immer noch durcheinander?« Einen Moment lang
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