Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
hätte und davon schlüpfen würde, bevor ich ihn auch nur anrührte. Offenbar jedoch nicht. Er erstarrte, und für einen Moment standen wir wie angewurzelt da. Ich spürte die Seide seines Hemdes auf meiner Haut und die Wärme seines Körpers. Der schwache Duft seines viel zu teuren Rasierwassers umschwebte mich. Zur Abwechslung mal kein Rauch. Ich hatte ihm immer gesagt, dass das Rasierwasser seinen Preis nicht wert sei, aber plötzlich besann ich mich eines anderen. Es war umwerfend.
Ich war sensorisch derart überwältigt, dass es mich völlig unerwartet traf, als er mich tatsächlich wegstieß.
»Was machst du da?«, rief er. Ich hatte gedacht, er wäre von meinem heimlichen Überfall beeindruckt, aber in seinem Gesicht war weder Anerkennung noch Humor zu erkennen. Mein eigenes Lächeln verblasste.
»Ich habe überprüft, ob du mit einem Überraschungsangriff fertig werden kannst.« Mein Tonfall war zögerlich. Ich wusste nicht, was ich falsch gemacht hatte. Er wirkte, als sei ihm unbehaglich. Fast aufgewühlt. »Was ist los?«
»Nichts«, erwiderte er schroff. Für einen Moment warf er mir einen derart intensiven Blick zu, dass mir der Atem stockte. Dann sah er weg, als könne er meinen Anblick nicht ertragen. Ich war verwirrter denn je. »Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal den Tag erleben würde, an dem du die Arme um einen Mann – um jemanden wie mich legen würdest.«
Ich bemerkte seinen öffentlichen Ausrutscher kaum. Seine Worte ließen mich abrupt innehalten. Er hatte recht. Ich hatte ihn berührt, ohne auch nur zu überlegen – das war nicht nur ein förmlicher Moroi-Händedruck wie gewöhnlich. Sicher, es war im Zusammenhang mit unserem Kurs geschehen, aber vor einigen Monaten wäre ich dazu noch völlig außerstande gewesen. Ihn zu berühren, war mir vollkommen natürlich vorgekommen. War er deswegen so erregt? Machte er sich wegen der Alchemisten und mir Sorgen?
Wolfe schlenderte vorbei. »Gut gemacht, Mädchen.« Er gab Adrian einen solchen Schlag auf den Rücken, dass seine Zähne klapperten. »Du warst überhaupt nicht auf sie vorbereitet.«
Was Adrian noch mehr zu bekümmern schien. Ich hätte schwören können, dass ich ihn murmeln hörte: »So viel steht verdammt noch mal fest.«
Während der Fahrt nach Hause kehrte etwas von Adrians prahlerischem Verhalten zurück, aber er war nach wie vor still und nachdenklich. Ich versuchte erneut, seinen Stimmungswechsel zu ergründen. »Musst du bei Clarence vorbeifahren, zum Bluttrinken?« Vielleicht hatte der Kurs ihn zu sehr angestrengt.
»Nein«, antwortete er. »Du sollst nicht zu spät da sein. Aber vielleicht … vielleicht kannst du dieses Wochenende vorbeikommen, und wir könnten einen Gruppenausflug zu Clarence unternehmen?«
»Am Samstag bin ich auf dem Ball«, entschuldigte ich mich. »Und ich habe gedacht, Sonya wollte Jill morgen nach der Schule zu Clarence fahren. Wahrscheinlich kann sie dich auch abholen.«
»Ja, wahrscheinlich«, sagte er. Er klang enttäuscht, aber ein Tag war keine allzu lange Wartezeit auf Blut. Vielleicht hatte er Angst, dass Sonya ihn erneut für Experimente rekrutieren werde – was keine schlechte Sache gewesen wäre, dachte ich. Plötzlich richtete er sich aus seiner lässigen Haltung auf. »Apropos Sonya … mir ist vorhin etwas eingefallen. Etwas, das Wolfe gesagt hat.«
»Na, Adrian. Hast du doch aufgepasst?«
»Komm mir nicht so, Sage«, warnte er mich. »Wolfe hat einen Dachschaden, und du weißt das. Aber als er uns all seine Worte der Weisheit zu kosten gab, da erwähnte er auch, dass man Fremden keine persönlichen Informationen geben solle und dass Opfer häufig im Voraus ausspioniert werden würden. Erinnerst du dich?«
»Ja, ich war ja dabei«, erwiderte ich. »Vor ungefähr einer Stunde.«
»Genau. Diese Männer, die dich und Sonya angegriffen haben, schienen zu wissen, dass sie ein Vampir war – die falsche Art zwar, aber trotzdem. Die Tatsache, dass sie mit einem Schwert aufgetaucht sind, lässt darauf schließen, dass sie gewisse Nachforschungen angestellt haben. Ich meine, es ist doch möglich, dass sie Sonya einfach eines Tages auf der Straße bemerkt und gedacht haben: ›Ooh, ein Vampir!‹ Aber vielleicht hatten sie sie auch eine Weile beobachtet.«
Sie auf der Straße bemerkt … Ich schnappte nach Luft, als sich eine Million Puzzleteilchen in meinem Geist zu einem Bild fügten. »Adrian, du bist ein Genie!«
Überrascht zuckte er zusammen. »Moment mal. Was?«
»Die
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