Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
meinem Schrecken zeigte Wolfe auf mich und fixierte mich mit einem stählernen, einäugigen Blick.
»Was habe ich euch gesagt, als ihr angekommen seid?«
Ich schluckte. »Wir sollten Ihnen Geld geben, Sir.«
»Und danach?«
»Sie haben uns gesagt, dass wir hier hergehen und warten sollen.«
Er nickte zufrieden, also war meine Antwort auf die offensichtlichen Fragen in Ordnung gewesen. »Wir sind zwei Meilen von allen anderen Häusern entfernt und ungefähr eine Meile vom Highway. Ihr kennt mich nicht, und wenn wir uns den Tatsachen stellen, dann sieht es hier ein bisschen aus wie in einem Film über einen Serienkiller.« Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Adrian mir einen triumphierenden Blick zuwarf. »Ich habe euch in ein entlegenes Gebäude fast ohne Fenster geschickt. Ihr seid hineingegangen. Habt ihr euch umgesehen, während ihr hier rübergegangen seid? Habt ihr die Umgebung hier drin gecheckt, bevor ihr ganz reingegangen seid? Habt ihr die Ausgänge überprüft?«
»Ich … «
»Nein, natürlich habt ihr das nicht getan«, unterbrach er mich. »Das tut nie jemand. Und das ist die erste Regel zur Selbstverteidigung: Nehmt nichts für selbstverständlich. Ihr braucht euer Leben nicht in Furcht zu verbringen, aber ihr müsst eure Umgebung kennen. Seid klug. Geht nicht blind in dunkle Gassen oder auf Parkplätze.«
Und einfach so war ich hingerissen.
Wolfe war erstaunlich gut vorbereitet. Er hatte Unmengen von Geschichten und Beispiele für Überfälle auf Lager, die mich immer wieder daran erinnerten, dass Menschen zu den bösartigsten Kreaturen dort draußen gehören, nicht Vampire. Er zeigte uns Bilder und Pläne verschiedener unsicherer Orte, machte uns auf Schwachstellen aufmerksam und gab uns ziemlich praktische Ratschläge, die den meisten Leuten selbstverständlich sein sollten – es aber nicht waren. Je länger er sprach, desto törichter kam ich mir wegen der Sache mit Sonya vor. Wenn diese Männer nur hinreichend von dem Wunsch beseelt gewesen waren, Sonya zu überfallen, hätten sie irgendeine Möglichkeit finden müssen. Aber es gab eine Million Dinge, die ich hätte tun können, um vorsichtiger zu sein, was die Konfrontation jener Nacht wahrscheinlich vermieden hätte. Diese Idee entpuppte sich als ein großer Teil von Wolfes Philosophie: An erster Stelle stand die Vermeidung von Gefahr.
Selbst als er endlich dazu überging, einige sehr grundlegende Bewegungen zu erörtern, lag der Schwerpunkt seiner Arbeit noch immer darauf, sie so einzusetzen, dass man wegrennen konnte – und nicht zu bleiben und seinen Angreifer niederzuschlagen. Er ließ uns einige dieser Bewegungen in der letzten halben Stunde des Kurses üben, wobei wir mit einem Partner und einen Dummie arbeiteten, da wir einander nicht wirklich wehtun wollten.
»Gott sei Dank«, sagte Adrian, als es endlich an die praktische Arbeit ging. Er und ich waren Partner. »Ich hatte schon gedacht, ich würde an einem Kampfkurs teilnehmen, um zu lernen, wie man nicht kämpft.«
»Aber er hat recht«, erwiderte ich. »Wenn man den Kampf vermeiden kann, umso besser.«
»Aber was ist, wenn man ihn nicht vermeiden kann?«, fragte Adrian. »Wie bei deinen Schwerter schwingenden Freunden? Was tust du, sobald du in Schwierigkeiten steckst?«
Ich klopfte auf unseren ausgestopften Übungsdummie mit dem leeren Gesicht. »Dafür ist der hier da.«
Wolfes Hauptaugenmerk war am heutigen Tag darauf gerichtet, wie man sich aus einem Griff befreite, wenn einen jemand von hinten packte. Er zeigte einige Techniken, die nicht viel komplizierter waren als Kopfstöße oder Tritte auf die Füße seines Gegners. Adrian und ich wechselten uns als Angreifer ab, während das Opfer die Manöver übte – in Zeitlupe und fast ohne Kontakt zu unserem Partner. Dafür waren die Dummies gedacht. Ich war ungefähr zwölf oder dreizehn Zentimeter kleiner als Adrian und somit ein scheinbar wenig plausibler Angreifer, was uns beide immer dann zum Lachen brachte, wenn ich doch etwas unternahm. Wolfe tadelte uns zwar, weil wir nicht ernst genug waren, gab uns aber hohe Bewertungen für das Erlernen der Techniken.
Das ließ mich etwas überheblich werden, sogar so sehr, dass ich mich, als mir Adrian den Rücken zuwandte und sich eine Wasserflasche nehmen wollte, von hinten an ihn anschlich, die Arme um ihn warf und ihn festhielt. Wolfe hatte uns gezeigt, wie man sich aus einem solchen Griff befreien konnte, und ich war ehrlich der Meinung, dass Adrian mich wahrgenommen
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