Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
es sich um einen fortgeschrittenen Zauber handelt. Es könnte eine Weile dauern, bis Sie die nötige Stärke und Macht aufbringen. Bleiben Sie dran! Wir warten.«
Sie gingen. Trübsinnig starrte ich auf das Wasser und fragte mich, wie lang eine Weile wohl dauern mochte. Anfangs war ich aufgeregt gewesen, weil der Zauber so einfach erschienen war. Jetzt wünschte ich, es gäbe weitere Zutaten zu mischen, weitere Beschwörungen zu rezitieren. Diese höchst anspruchsvolle Magie, die sich auf Willenskraft und mentale Energie stützte, war viel schwerer zu meistern – vor allem, weil sie körperlos war. Ich mochte aber das Konkrete. Ich wusste gern genau, was notwendig war, damit etwas geschah. Ursache und Wirkung.
Aber das hier? Das hier war nur ich, die starrte und starrte und hoffte, ›geistige Klarheit zu bewahren‹ und mich ›rasiermesserscharf auf meine Aufgabe‹ zu konzentrieren. Woher wüsste ich, ob es so war? Selbst wenn ich diesen Zustand erreichte, würde es trotzdem vielleicht noch eine Weile dauern, bis sich das Nötige manifestierte. Ich gab mir Mühe, möglichst nicht daran zu denken. Sonya. Sonya war alles, was im Moment zählte. Meine ganze Willenskraft und Energie musste in ihre Rettung fließen.
Das sagte ich mir immer wieder, während die Minuten verstrichen. Jedes Mal, wenn ich davon überzeugt war, dass ich aufhören und Ms Terwilliger fragen sollte, was ich tun müsse, nötigte ich mich, weiter ins Wasser zu schauen. Sonya, Sonya. Denk an Sonya. Und es geschah immer noch nichts. Als der Schmerz in meinem Rücken das Sitzen schließlich unerträglich machte, stand ich auf und streckte mich. Die Muskeln verkrampften sich auch allmählich. Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück; fast anderthalb Stunden waren seit meinem letzten Besuch vergangen.
»Irgendetwas?«, fragte Ms Terwilliger.
»Nein«, antwortete ich. »Ich muss etwas falsch machen.«
»Sie fokussieren ihren Geist? Sie denken an sie? Daran, sie zu finden?«
Allmählich konnte ich das Wort ›fokussieren‹ nicht mehr hören. Frustration trat an die Stelle meiner früheren Angst vor der Magie. »Ja, ja und ja«, sagte ich. »Aber es passiert trotzdem nichts.«
Sie zuckte die Achseln. »Und deswegen haben wir Befreiung von der Sperrstunde. Versuchen Sie es noch einmal.«
Adrian warf mir einen mitfühlenden Blick zu und wollte etwas sagen – besann sich dann jedoch eines Besseren. Ich wäre beinahe gegangen, hielt aber inne, als mir ein beunruhigender Gedanke kam.
»Was ist, wenn sie nicht mehr am Leben ist?«, fragte ich. »Könnte das der Grund sein, weshalb es nicht funktioniert?«
Ms Terwilliger schüttelte den Kopf. »Nein. Sie würden trotzdem etwas sehen, auch wenn sie nicht mehr lebte. Und … also, Sie würden es wissen.«
Ich kehrte in die Werkstatt zurück und versuchte es noch einmal – mit ähnlichen Ergebnissen. Als ich das nächste Mal zu Ms Terwilliger ging, war nicht ganz eine Stunde vergangen. »Ich mache etwas falsch«, beharrte ich. »Entweder das, oder ich habe den ursprünglichen Zauber verpfuscht. Oder es übersteigt wirklich meine Kräfte.«
»Wenn ich Sie richtig kenne, war der Zauber tadellos«, sagte sie. »Und nein, es übersteigt keineswegs Ihre Kräfte, aber nur Sie haben die Macht, es geschehen zu lassen.«
Ich war zu müde, um ihrem esoterischen Philosophie-Unsinn etwas entgegenzusetzen. Also drehte ich mich wortlos um und trabte zurück in die Werkstatt. Als ich sie erreichte, stellte ich fest, dass mir jemand gefolgt war. Ich blickte auf, sah Adrian und seufzte.
»Keine Ablenkungen, schon vergessen?«, bemerkte ich.
»Ich werde nicht bleiben«, sagte er. »Ich wollte mich nur davon überzeugen, dass du okay bist.«
»Ja … ich meine, ich weiß es nicht. Insoweit, wie man bei der ganzen Sache okay sein kann.« Ich deutete mit dem Kopf auf den silbernen Teller. »Vielleicht musst du mich hier rausholen.«
Er überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre.«
Ich sah ungläubig zu ihm auf. »Was ist damit, dass ich nichts tun muss, was ich nicht tun will? Und dass du mich nobel verteidigst?«
Ein wissendes kleines Lächeln, wie es so typisch für ihn war, umspielte seine Lippen. »Na ja. Das war damals. Da hast du dies hier nicht tun wollen, weil es gegen sämtliche deiner Ansichten verstieß. Jetzt ist die Grenze überschritten, und dein Problem ist anscheinend ein wenig Pessimismus und die Tatsache, dass du nicht glaubst, es
Weitere Kostenlose Bücher