Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
neugierig, als würde sie sich fragen, ob ich die Sache wirklich hinbekäme. Damit waren wir schon zu zweit.
Für einen Moment war ich wie erstarrt. Ich stand im Begriff, freiwillig Magie zu wirken. Sämtliche Proteste und Argumente, mit denen ich Ms Terwilliger begegnet war, waren jetzt wie Asche im Wind. Ich zitterte und bekam kaum Luft. Dann dachte ich an Sonya. An die freundliche, mutige Sonya. Sie hatte so viel Zeit und Energie darauf verwandt, das Richtige zu tun. Wie konnte ich da zurückstehen?
Wie ich Ms Terwilliger gegenüber bemerkt hatte, war der Zauber trügerisch einfach. Er verlangte nicht einmal halb so viele Schritte wie das Feueramulett. Ich musste Wasser in einem Kupferkessel sieden lassen und verschiedene Ingredienzien hinzufügen, zumeist klare Öle, die mit absoluter Genauigkeit abzumessen waren. Schon bald lagen die Düfte von Bergamotte, Vanille und Heliotrop schwer in der Luft. Einige der Schritte hatten die gleiche rituelle Redundanz wie schon früher. Zum Beispiel musste ich dreizehn frische Minzblätter von einer ihrer Pflanzen pflücken und jeweils einzeln fallen lassen, während ich sie auf griechisch abzählte. Dann sollten sie dreizehn Minuten sieden, und anschließend musste ich jedes einzelne mit einem Löffel aus Rosenholz aus dem Wasser holen.
Bevor sie gegangen war, hatte mir Ms Terwilliger gesagt, dass ich mich konzentrieren und sowohl über die einzelnen Schritte des Zaubers nachdenken müsse als auch über das, was ich zu guter Letzt zu erreichen hoffte. Also richtete ich meine Gedanken auf Sonya und auf die Suche nach ihr und betete, dass es ihr gut gehen möge. Als ich diese ersten Schritte endlich vollendet hatte, war fast eine Stunde vergangen. Ich hatte es kaum bemerkt, fuhr mir mit der Hand über die Stirn, überrascht, wie sehr ich in dem schwülen Raum schwitzte. Ich ging hinaus und begab mich auf die Suche nach Ms Terwilliger und Adrian, wobei ich nicht so recht wusste, bei welcher sonderbaren Aktivität ich sie wohl vorfinden würde. Alles war jedoch ziemlich gewöhnlich: Sie saßen vor dem Fernseher. Beide schauten auf.
»Bereit?«, fragte sie.
Ich nickte.
»Riecht nach Tee hier«, meinte Adrian, als sie mir in die Werkstatt folgten.
Ms Terwilliger untersuchte den kleinen Kessel und nickte anerkennend. »Das sieht ausgezeichnet aus.« Ich wusste nicht, wie sie das auf einen Blick erkennen konnte, nahm sie aber beim Wort. »Also. Das eigentliche Wahrsagen erfordert doch einen silbernen Teller, richtig?« Sie ließ den Blick über die Regale mit Geschirr schweifen und zeigte auf etwas. »Da. Nehmen Sie das!«
Ich holte einen vollkommen runden Teller von ungefähr zwölf Zoll Durchmesser herab. Er war glatt und schmucklos und so stark poliert, dass er beinahe wie ein Spiegel wirkte. Darauf hätte ich allerdings gut und gern verzichten können, da Haar und Make-up die Verschleißerscheinungen des Tages zeigten. Bei jedem anderen hätte ich Hemmungen gehabt. Ich stellte den Teller auf den Arbeitstisch und goss eine Tasse Wasser aus dem Kessel auf die silbrige Oberfläche. Alle nicht flüssigen Zutaten hatte ich herausgeholt, und das Wasser war vollkommen klar. Sobald es zur Ruhe gekommen war, trat der Spiegeleffekt wieder ein. Ms Terwilliger reichte mir eine winzige Schale mit Galbanharz, das dem Buch zufolge im letzten Stadium abzubrennen war. Ich entzündete es mit einer Kerze, und ein bitterer, grüner Geruch stieg auf, der einen scharfen Kontrast zu der Süße der Flüssigkeit bildete.
»Sie haben noch das Haar?«, fragte Ms Terwilliger.
»Natürlich.« Ich legte es auf die glatte Oberfläche des Wassers. Ein Teil von mir wollte, dass etwas geschah – Funken oder Rauch – , aber ich hatte die Anweisungen gelesen und wusste Bescheid. Ich zog einen Stuhl an den Tisch, setzte mich und blickte in das Wasser. »Jetzt sehe ich?«
»Jetzt sehen Sie«, bestätigte sie. »Ihr Geist muss gleichzeitig fokussiert und weit offen sein. Sie müssen über die Komponenten des Zaubers und die Magie nachdenken, die sie enthalten, und auch über Ihren Wunsch, das Objekt des Zaubers zu finden. Gleichzeitig müssen Sie sich eine vollkommene geistige Klarheit bewahren und sich rasiermesserscharf auf Ihre Aufgabe konzentrieren.«
Ich schaute auf mein Spiegelbild hinab und versuchte, all das zu tun, was sie gerade beschrieben hatte. Nichts geschah. »Ich sehe nichts.«
»Natürlich nicht«, sagte sie. »Es ist ja auch nur ein Augenblick vergangen. Ich habe Ihnen erklärt, dass
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