Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
dramatischen Analyse gezeigt hatte, nun völlig abhandengekommen waren. Ein Teil von mir dachte, dass er eher hätte sagen sollen: »Na ja, nach diesem großartigen Abend bleibt mir wohl keine andere Wahl, als vorzuschlagen wieder auszugehen.« Sofort kam ich mir dumm vor. Ich hatte kein Recht, von ihm zu erwarten, dass er unbefangener mit dieser Situation umging, da ich doch auch mit zitternden Händen dasaß.
»Natürlich«, platzte ich heraus.
Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Cool«, sagte er. »Ich schick dir eine E-Mail.«
»Das wär toll.« Ich lächelte. Noch mehr unbeholfenes Schweigen senkte sich herab, und plötzlich fragte ich mich, ob der Kuss vielleicht doch noch käme.
»Soll ich … soll ich dich zur Tür begleiten?«, fragte er.
»Was? Oh nein. Vielen Dank. Ist doch gleich hier. Ich komm schon zurecht. Danke.« Ich begriff, dass ich kurz davor stand, mich wie Jill anzuhören.
»Na gut«, sagte Brayden. »Das war ein wirklich schöner Abend. Ich freue mich aufs nächste Mal.«
»Ich auch.«
Er streckte die Hand aus. Ich schüttelte sie. Dann stieg ich aus dem Wagen und ging hinein.
Ich habe seine Hand geschüttelt? Ich spielte den Augenblick im Kopf noch einmal durch und kam mir dabei immer blöder vor.
Was stimmt nicht mit mir?
Während ich irgendwie benommen durch die Eingangshalle ging, holte ich mein Handy hervor und sah nach, ob ich irgendwelche Nachrichten bekommen hatte. Ich hatte es heute Abend ausgeschaltet, weil ich der Ansicht war, dass – wenn es jemals eine Zeit gab, in der ich mir Frieden verdient hatte – es dann diese sein musste. Zu meinem Erstaunen hatte mich in meiner Abwesenheit aber auch niemand gebraucht, obwohl eine SMS von Jill gekommen war, abgeschickt vor fünfzehn Minuten. Wie war dein Date mit Brandon? Wie ist er denn so?
Ich schloss die Wohnheimtür auf und trat ein. Er heißt Brayden, schrieb ich zurück, dann grübelte ich über den Rest ihrer Frage nach und überlegte mir lange, was ich antworten sollte.
Er ist genau wie ich.
Kapitel 4
S onya verlor während des restlichen Wegs zu Adrians Wohnung kein Wort mehr über die mysteriöse Begegnung, also respektierte ich ihr Schweigen. Alle anderen waren zu beschäftigt mit dem Abendessen und den Experimenten, als dass ihnen sonst viel aufgefallen wäre. Und sobald sie die zweite Welle von Experimenten in Angriff nahmen, war auch ich zu abgelenkt, um noch viel über den Mann auf der Straße nachzudenken.
Sonya hatte gesagt, sie wolle feststellen, wie Eddie und Dimitri auf direkten Kontakt mit Geist reagierten. Das erreichten sie und Adrian dadurch, dass sie ihre Magie nacheinander auf beide Dhampire konzentrierten.
»Es ist ungefähr so wie das, was wir tun, wenn wir versuchen, sie zu heilen, oder etwas wachsen zu lassen«, erklärte mir Sonya. »Keine Sorge – dadurch werden sie nicht übergroß oder so was. Es wird eher so sein, dass wir sie mit Geistmagie belegen. Falls Dimitri irgendein verbleibendes Merkmal von der Zeit seiner Heilung zurückbehalten hat, sollte es mit unserer Magie reagieren.«
Sie und Adrian koordinierten ihr Timing und beschäftigten sich zuerst mit Eddie. Anfänglich gab es nichts zu sehen – nur die beiden Geistbenutzer, die Eddie anstarrten. Er schien sich unter ihrer Musterung unwohl zu fühlen. Dann sah ich, wie ein silbriger Schimmer über seinen Körper lief. Beim Anblick dieser körperlichen Manifestation von Geist trat ich erstaunt zurück – erstaunt und entnervt. Sie wiederholten die Prozedur bei Dimitri, mit den gleichen Ergebnissen. Offenbar verhielt sich auf einem unsichtbaren Niveau alles ganz genau gleich. An Dimitris Reaktion war nichts Auffälliges. Alle nahmen es gelassen als Teil des wissenschaftlichen Prozesses hin, aber der Anblick, wie die Magie sie tatsächlich umhüllte, war mir unheimlich.
Auf unserer Rückfahrt an diesem Abend nach Amberwood ertappte ich mich dabei, im Wagen so viel Abstand wie möglich zwischen mich und Eddie zu legen. Es war, als könne verbliebene Magie austreten und mich berühren. Er plauderte auf unsere übliche freundschaftliche Art mit mir, und es war eine harte Arbeit, meine Gefühle zu verbergen. Das verschaffte mir Gewissensbisse. Das war schließlich Eddie. Mein Freund. Die Magie, selbst wenn sie mich hätte verletzen können, war längst verschwunden.
Eine gut durchschlafene Nacht trug eine Menge dazu bei, sowohl meine Angst als auch meine Gewissensbisse zu vertreiben, und beim Aufwachen am folgenden Tag
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