Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
Jeder hat ab und zu Zeit für ein Date . Jeder außer mir natürlich. Ich verspürte einen überraschenden Stich der Sehnsucht, nicht nach einem Date, sondern einfach nach einem normalen Schulleben. Kristin und Julia gingen oft mit einer größeren Gruppe von Freunden und potenziellen Partnern aus und luden mich häufig dazu ein. Sie glaubten, meine Zurückhaltung liege an Hausaufgaben oder vielleicht daran, dass kein passender Junge dabei war, mit dem ich ausgehen könnte. Ich wünschte, es wäre so einfach, und plötzlich erschien es mir, als trennte mich eine riesige Kluft von Kristin und Julia. Ich war ihre Freundin, und sie hatten mich in jeden Teil ihres Lebens eingebunden. Unterdessen war ich voller Geheimnisse und Halbwahrheiten. Ein Teil von mir wünschte, ich könnte offen zu ihnen sein und ihnen all die Kümmernisse meines Alchemistenlebens anvertrauen. Teufel, ein Teil von mir wünschte einfach, ich könnte wirklich zu einem dieser Ausflüge mitkommen und meine Pflichten für eine Nacht sausen lassen. Es würde natürlich niemals funktionieren. Wir würden ins Kino gehen, und ich bekäme wahrscheinlich eine SMS , dass ich irgendwo hingehen musste, um einen Strigoi-Mord zu vertuschen.
Diese Stimmung war nicht ungewöhnlich für mich, und sie hob sich nur allmählich, während ich meinen Schultag begann. Ich fiel in den vertrauten Rhythmus meines Tages und fühlte mich darin wohl. Lehrer gaben einem immer über das Wochenende die meisten Hausarbeiten auf, und ich freute mich, dass ich alles abgeben konnte, was ich schon auf meinen Flügen erledigt hatte. Leider machte mein letzter Kurs an diesem Tag alle Fortschritte hinsichtlich meiner Stimmung zunichte. Eigentlich war Kurs nicht das richtige Wort. Es war eine freie Arbeit, die ich mit meiner Geschichtslehrerin durchführte, Ms Terwilliger.
Ms Terwilliger hatte sich vor kurzem als Anwenderin von Magie offenbart; sie war eine Art Hexe oder wie immer diese Leute sich selbst nannten. Alchemisten hatten Gerüchte über sie gehört, aber wir hatten nicht besonders viel Erfahrungen damit, und Fakten waren ebenfalls rar. Unseres Wissens nach benutzten nur Moroi Magie. Wir verwendeten sie für unsere Lilientätowierungen – die Spuren von Vampirblut enthielten – , aber die Vorstellung, dass Menschen auf die gleiche Weise Magie erzeugten, erschien verrückt und bizarr.
Deswegen war es eine Riesenüberraschung, als sich Ms Terwilliger im letzten Monat mir gegenüber nicht nur offenbart, sondern mich am Ende auch so weit überlistet hatte, selbst einen Zauber zu wirken. Es war ein Schock für mich gewesen, und ich hatte mich geradezu schmutzig gefühlt.
Magie war nicht für Menschen gedacht. Wir hatten kein Recht, die Welt so zu manipulieren; es war hundertmal schlimmer als das, was Sonya auf der Straße mit der roten Lilie gemacht hatte. Ms Terwilliger beharrte darauf, dass ich eine natürliche Affinität zur Magie besäße, und sie hatte sich erboten, mich auszubilden. Den genauen Grund dafür wusste ich nicht so recht. Sie hatte ständig von dem Potenzial gesprochen, das ich besaß, aber ich konnte kaum glauben, dass sie mich ohne jeden Grund ausbilden wollte. Ich war nicht dahintergekommen, welches der Grund sein könnte, aber es spielte auch keine Rolle. Ich hatte ihr Angebot abgelehnt. Also hatte sie eine andere Lösung gefunden.
»Ms Melbourne, wie lange werden Sie noch für das Buch von Kimball brauchen?«, rief sie von ihrem Schreibtisch aus. Sie war es, von der Trey »Melbourne« aufgeschnappt hatte, aber im Gegensatz zu ihm schien sie ständig zu vergessen, dass dies nicht mein richtiger Name war. Sie war in den Vierzigern, hatte mausbraunes Haar und ständig ein listiges Glitzern in den Augen.
Ich schaute von meiner Arbeit auf und zwang mich zur Höflichkeit. »Noch zwei Tage. Höchstens drei.«
»Übersetzen Sie unbedingt alle drei Schlafzauber!«, sagte sie. »Jeder hat seine eigenen Nuancen.«
»In diesem Buch befinden sich vier Schlafzauber‹«, korrigierte ich sie.
»Ach ja?«, fragte sie unschuldig. »Freut mich zu sehen, dass sie bei Ihnen einen Eindruck hinterlassen haben.«
Ich unterdrückte ein Stirnrunzeln. Sie unterrichtete mich, indem sie mich zu Forschungszwecken Zauberbücher kopieren und übersetzen ließ. Ich konnte nicht umhin, die Texte zu lernen, wenn ich sie las. Zwar ärgerte ich mich zu Tode, so geködert worden zu sein, aber nun war es zu spät im Schuljahr für einen Wechsel. Außerdem konnte ich mich kaum bei der
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