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Bloodman

Bloodman

Titel: Bloodman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pobi
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und fünfzehn Kilometer entfernt an seinem Krankenhausbett festgeschnallt lag, an die Hinweise, die er hinterlassen hatte wie Brotkrumen in einem Grimm’schen Märchen – Hinweise, die zu einem bislang gesichtslosen Killer führten: das blutige Porträt an der Krankenhauswand; die optische Illusion mit den Teppichen; und die augenlosen Studien, die aus den Wänden seines Ateliers gekrochen kamen. Er dachte an die Mutter, die nicht seine Mutter gewesen war, und wie ihre Zeit auf dem Planeten auf einem verkommenen Gelände neben dem Highway geendet hatte, ihrer Haut und ihrer Zukunft beraubt. Er dachte an seinen Onkel Frank, der überhaupt nicht sein Onkel war. Und er erkannte, dass er mit diesen Menschen verbunden war, nicht weil sie gemeinsame Gene besaßen, sondern weil er Teil ihrer Tragödie war. »… äh, bestimmten Savants muss man nur ein Datum nennen – egal, ob vor zehn oder hundertfünfzig Jahren –, und sie können einem augenblicklich den Wochentag dazu nennen, wie das Wetter war und um welche Zeit die Sonne aufging. Sie irren sich niemals .«
    Frank stieß einen Pfiff aus. »Idiot Savant. Habe vor langer Zeit einmal etwas darüber gelesen, kann dir aber nicht das Datum nennen und weiß ganz bestimmt nicht, was für ein Wochentag es war.«
    Â»Heute heißen sie nur noch Savants. Idiot ist politisch nicht korrekt. Genauso wenig wie Trottel , Depp oder Spasti und was sonst noch als beleidigend empfunden werden könnte.« Wow, Frank war wirklich ganz alte Schule.
    Frank schüttelte angewidert den Kopf. »Bescheuerte politisch korrekte Arschlöcher. Jetzt schreiben sie schon Huckleberry Finn wegen dieser Spießer um.« Wie auf ein Stichwort fingen die Scheinwerfer einen BMW X 6 ein, halb untergetaucht im Wasser und gegen einen Baum gefahren, verlassen. »Gottverdammtes Schwuchtel-Auto! Kauft amerikanisch!«, schrie Frank und schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad des Humvee. »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja – alle sind ständig so gottverdammt besorgt, dass sie die gottverdammten falschen Leute beleidigen könnten. Tut mir leid, die Welt ist nicht fair. Manche Leute werden immer verarscht werden. Es ist mir egal, ob sie fett sind oder blöde oder aus Lettland stammen, irgendjemand wird ein Schimpfwort für sie erfinden. Hörst du mich vielleicht gegen Witze über alte Männer wettern? Dieses Scheißland kommt noch völlig vor die Hunde. Jeder will gleicher sein als sein Nachbar.« Frank sprach sehr laut, um über dem Lärm des Motors und des Windes und des Regens gehört zu werden. »Und was kann dieses Mädchen?«, wollte er dann wissen.
    Jake war dankbar, dass Frank ihn daran hinderte, in Gedanken zu Orten abzuschweifen, wo er nicht hinwollte. Folternde, düstere, verdorbene Orte. »Sie setzt Bilder zusammen. Ich hoffe, dass sie etwas in dem Fotostrom der …« – er verstummte und wägte die nächsten Worte ab – »… von Jacobs Bildern erkennen kann. Wahrscheinlich verschwende ich damit aber nur Zeit, die ich nicht habe.«
    Frank schüttelte den Kopf. »Aber er hat doch noch andere Bilder von diesem Kerl hinterlassen.«
    Jake dachte an die gesichtslosen Männer an den Atelierwänden. Das Krankenhausporträt, das Jacob mit seinem eigenen Blut gemalt hatte. Er hatte gewollt, dass sein Sohn sie entdeckte, damit er sehen lernte. Dann das Teppichmosaik – ein Porträt ohne Gesicht, zusammengesetzt aus Einzelstücken, Fragmenten – wie der Chuck Close. Wie die Teile dieses Leinwandpuzzles. »Er hat Porträts ohne Gesichter hinterlassen, Frank. Die sollen mich auf die Spur bringen. Das Gesicht des Killers – falls es sich darum handelt, ist nur für meine Augen bestimmt. Ich glaube nicht, dass er irgendjemand anderem in dieser Angelegenheit vertraut hat.« Langsam begann es so auszusehen, als hätte sein Vater ihn auf eine Forschungsexpedition geschickt. »Er will, dass ich mir die Geschichte zusammenreime.«

60
    Nach der Zahl der erleuchteten Fenster zu schließen, hatte sich in diesem Viertel jeder zehnte Einwohner zum Bleiben entschlossen. Wahrscheinlich dachten sie, so weit im Inland wären sie in Sicherheit, selbst wenn es wirklich eine Sturmflut gab. Überall hieß es, was für ein Glück es doch sei, dass der Sturm bei Ebbe auf Land getroffen war. Aber niemand dachte daran, dass sie sich

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