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Bloodman

Bloodman

Titel: Bloodman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pobi
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erstarrte Emily. In der Hand hielt sie noch ein einzelnes, braunes Puzzleteil, knapp oberhalb der richtigen Stelle im Gesamtbild.
    Jake sah Mrs Mitchell an. Sie zuckte die Achseln.
    Emily ließ das Puzzleteil fallen. Streckte die Hand aus. Legte den Finger auf das Touchpad und strich über das schwarze Rechteck. Das Video begann, mit Höchstgeschwindigkeit vorwärtszulaufen.
    Â»Nein, Emily, das …« Mrs Mitchell packte Jakes Arm, den er nach dem Kind ausgestreckt hatte. Er erstarrte.
    Das Mädchen betrachtete den Bildschirm mit faszinierter Aufmerksamkeit, während das Video mit 60 facher Geschwindigkeit vorbeirauschte.
    Emilys Augenlider flatterten, während die beschleunigte Version von Jake ein Gemälde nach dem anderen in die Höhe hielt – wie in einer Endlosschleife. Ihre Augen schienen nicht auf den Bildschirm gerichtet zu sein, sondern auf irgendeinen Punkt dahinter, und Jake fragte sich, ob sie überhaupt etwas in den zufälligen Formen erkennen konnte, die zu schnell vorbeihuschten. Dann und wann nahm er eine Leinwand wahr, wenn ein Bild langsam genug aufblitzte, dass sein Gehirn die Form erkannte, aber bevor er richtig hinsehen konnte, war es schon wieder verschwunden.
    Emily saß still wie eine Statue, solange sie das Video ansah. Ihre einzige Bewegung war dieses leise Zucken der Augenlider. Wind und Regen hämmerten gegen das Haus, während die unheimlichen kleinen Bilder in gezackten Farbklecksen vor Jakes fast regloser Gestalt im Videofenster vorbeiflackerten.
    Jake war so auf das Mädchen konzentriert, dass er den Becher ganz vergaß, um den er die Hände gelegt hatte. Frank schlürfte geistesabwesend seinen Kaffee, während seine Aufmerksamkeit zwischen dem Mädchen und dem Sturm draußen schwankte. Das Meer rauschte in Wellen, die fast einen halben Meter hoch waren, durch die Straße. Ein großer, fahrbarer Müllcontainer schlug in der Mitte dieses Salzwasserflusses Purzelbäume, während sein Deckel auf- und zuklappte wie die Kiefer eines Walhais, der Plankton aus dem Wasser filtert.
    Emily betrachtete hingerissen das bläuliche Flackern des Bildschirms. Nach einer Minute begann sie durch die Nase zu pfeifen, ein rhythmisches Geräusch, das beinahe etwas Musikalisches an sich hatte.
    Das Video endete, und Emily keuchte auf. Ohne zu zögern, zog sie den Finger zurück über das Touchpad, und das Video lief rückwärts. Die abgehackten, puppenartigen Bewegungen, mit denen Jakes anderes Ich gerade getanzt hatte, begannen in der anderen Richtung erneut, und der Eindruck war genauso unwirklich wie Emilys kopfstehendes Puzzle.
    Das Mädchen summte vor sich hin, ein belegtes, tief aus der Kehle kommendes Brummen wie von einem sich aufwärmenden Stromtransformator. Jake konnte verstehen, wie es dazu gekommen war, dass unwissende Bauern im 13 . Jahrhundert Autisten für besessen hielten; ihre Welt war so abseitig, so undurchdringlich, dass es keine Möglichkeit gab, sie mit den Strukturen eines durchschnittlichen Verstandes zu erfassen. Er musterte Emily, während sie das Video anstarrte, und es war sonnenklar – selbst wenn man das beinahe vervollständigte, umgekehrte Puzzle auf dem Boden ignorierte –, dass man dieses Mädchen in keiner Weise als durchschnittlich bezeichnen konnte. Nicht einmal theoretisch. Was etwas heißen wollte.
    Das Video endete.
    Emilys Augen blieben unverwandt auf einen Punkt jenseits des Bildschirms gerichtet, konzentriert auf das digitalisierte Universum der Pixel innerhalb des Laptops.
    Â»Hast du etwas gesehen, Emily?«, fragte Jake und versuchte, den Klang der Hoffnung – oder war es Hysterie? – in seiner Stimme zu unterdrücken. Ohne das Mädchen waren sie an einem toten Punkt angelangt.
    Tot.
    Punkt.
    Gehäutet.
    Das kleine Mädchen starrte reglos vor sich hin.
    Â»Süße?«, sagte Mrs Mitchell. »Konntest du etwas erkennen? War da etwas?«
    Keine Bewegung.
    Jake spürte, wie der Adrenalinstoß der Erwartung im dumpfen Schmerz der Verzweiflung verdampfte. Er wollte aufstehen.
    Emily erwachte zum Leben.
    Sie sprang auf, und ihr Gesichtsausdruck wechselte von leerer Abwesenheit zu intensiver Konzentration. Sie stürmte aus dem Zimmer, und Jake wollte ihr folgen, doch Mrs Mitchell legte ihm kopfschüttelnd die Hand auf die Schulter. »Sie ist jetzt auf einer Mission. Vielleicht hat es mit Ihnen zu tun, vielleicht will sie auch nur die

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