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Bloodman

Bloodman

Titel: Bloodman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pobi
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Schnapsflaschen. Hinter dem Gebäude, am Horizont am Rande der Welt, tat sich eine kleine Lücke in den Wolken auf, und der Mond stieß einen einzelnen, gedämpften Lichtstrahl hindurch.
    Jake ging am Atelier vorbei und blieb an der Abbruchkante der Grasfläche stehen, wo das Gelände fünf Meter tief zum Strand abfiel. Der Wind war zu einem steten Wummern angewachsen, und das Meer rollte in einer drei Meter hohen Dünung heran, bevor es sich am Ufer brach. Die Wellen klatschten an den Strand wie nasse Hände und wirbelten in krachenden Brechern Sand und Treibgut durcheinander. Jakes Blick streifte abwesend über den Schaumrand und hielt Ausschau, ob Elmos Leiche vielleicht angespült worden war. Doch es war zu dunkel dafür.
    In beiden Richtungen war keinerlei Lebenszeichen am Strand zu entdecken. Von seinem Grassims aus konnte er leicht drei, vier Häuser weiter sehen, und in keinem einzigen brannte Licht. Einen Moment lang zog sich seine Brust bei dem Gedanken zusammen, er könnte der letzte lebende Mensch auf Erden sein, eine Figur aus einem Endzeitroman, und alles um ihn herum existierte nur in seiner Phantasie. Kein einziges Boot auf dem Wasser, keine Flugzeuge blinkten hoffnungsvoll am Nachthimmel, nirgendwo war Leben, mit Ausnahme des Leuchtfeuers fast fünfzehn Kilometer weiter nordöstlich. Jake ging zum Atelier.
    Der Anblick des dreidimensionalen, blutigen, gesichtslosen Mannes an Wänden und Decke wirkte wie die Kulisse für einen Zauberer und erschien jetzt, bei Nacht, noch unheimlicher. Er ließ das zusammengeknüllte Bild auf den Rahmungstisch fallen, und Staubbüschel stoben in die Höhe. Er starrte darauf hinab und fragte sich, wie er klarkommen sollte, solange dieses Drama ihn verfolgte wie die betrunkene Horrorvision eines Schattens. Der alte Kenmore-Kühlschrank, in dem sein Vater immer genügend Essen und Schnaps aufbewahrt hatte, dass die Pigmente fließen konnten, ohne dass er das Atelier verlassen musste, brummte vor sich hin wie ein Roboter bei einer komplizierten mathematischen Berechnung. Jake öffnete ihn, um sich etwas zu trinken zu holen. Sein Blick fiel an der Cola vorbei auf drei große Papiertüten, die Klumpen von Bleipigment enthielten. Sein Vater gehörte zur alten Schule – die Umwelt kam auf seiner Liste von Prioritäten gleich nach einem bemannten Raumflug zur Sonne.
    Jake öffnete die Colaflasche am Deckel der Werkzeugkiste, und der Kronkorken flog in hohem Bogen davon und kollerte in eine Ecke. Er setzte sich auf die farbbekleckerte Kiste und kippte die halbe Flasche in zwei langen Schlucken hinunter. Der süße Sprudel trieb ihm Tränen in die Augen, und ein explosiver Rülpser drang aus seiner Kehle. Er sah sich um, ob der Lärm die Aufmerksamkeit eines der blutigen Männer erregt hatte.
    Jake leerte die Cola, ließ die Flasche in einen verstaubten Pappkarton fallen und stieß sich von der Stahlkiste hoch. Der zerknüllte Klumpen des Porträts aus dem Krankenhaus lauerte auf dem Tisch, zusammengefaltete Fetzen von kränklichem Gelb, Gipsweiß und Tropfen von Jacob Coleridges wertvollstem Pigment. Jake ging ein paarmal darum herum, die Arme vor der Brust verschränkt, während sein Blick das Bündel nicht aus den Augen ließ, das unter dem Arbeitslicht lauerte wie eine Autobombe, die ihre Funktion erfüllen will.
    Mit dem Geschmack nach Cola noch frisch im Mund, begann er, das Porträt wie einen Kohlkopf zu entblättern, Schicht für Schicht, ein Blatt nach dem anderen. Er schob die Bruchstücke herum, bis sie zusammenpassend dalagen, und einen Sekundenbruchteil lang wusste er, dass Finch auf seine verdrehte Art recht gehabt hatte: Dies war Kunst.
    Als das Bild vollständig war, trat er einen Schritt zurück, um es aus einer anderen Perspektive zu betrachten, und meinte fast, ein anerkennendes Aufkeuchen der Figuren an Wänden und Decke zu hören. Selbst sie mussten zugeben, dass es schön war.
    Jake starrte auf das Bild hinab. Was die Technik anging, besaß er vielleicht nicht das Talent seines Vaters, aber er verstand etwas von Komposition, Perspektive und Brillanz. Er hatte stets aufmerksam zugehört, und immerhin stammten fünfzig Prozent seiner Gene von seinem Vater. Was er da vor sich sah, war verblüffend.
    Die Wirkung lag zum Teil daran, dass das Bild mit Blut von einem halb verrückten Mann gemalt worden war. Außerdem hatte er sich mit

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