Bluescreen
-Formate ist die Show des reinen Ereignisses. Cops stellt dabei das eine Ende des Spektrums dar, die billigen Dating-Shows ( Blind Date , Elimidate , The 5 th Wheel , Xtreme Dating ) das andere. Man erkennt in beiden Fällen bestimmte Muster, der aufmerksame Betrachter hat den Eindruck, er habe es mit einer Abfolge strukturell ähnlicher, einmaliger Begegnungen zu tun. Man sieht endlos immer wieder dieselben Szenen: Verhaftungen, Verkehrskontrollen, Warnungen, die im Vorbeifahren ausgesprochen werden (»Okay, so was machste aber nicht noch ma!«), häusliche Zwischenfälle aller Art sowie Gespräche mit Menschen, die sich beschwert haben (»Beruhigen Sie sich, gnädige Frau! Erzählen Sie mir einfach, was passiert ist.«). Man lernt dabei, dass Gerechtigkeit, zumindest auf der Ebene einer konkreten Verhaftung, viel weniger mit dem Gesetzbuch zutun hat, als man annehmen würde. In Duellen zwischen Cops und Zivilisten entscheidet allein die Persönlichkeit. Jedes einzelne Wort ist ein Schritt im Rahmen einer Verhandlung. Die Werkzeuge beider Seiten – sowohl die geschwätzigen und vagen Ausflüchte des Verdächtigen, der sich aus der Affäre ziehen will, als auch die Pseudo-Autorität und die mangelnde Informiertheit des Polizisten – wirken willkürlich und vollkommen verworren. Und so macht sich unser kriminelles Selbst Notizen: »Lass niemals freiwillig eine Leibesvisite über dich ergehen!« Doch schon bald muss man sich eingestehen, dass man sich an all das, was man bei Cops gelernt hat, gar nicht erinnern würde, wenn man selbst in eine vergleichbare Situation geriete. Höflichkeit und Hektik würden die Oberhand gewinnen. Im unmittelbaren Konflikt zweier Menschen, die einander – ob nun vor lauter Angst wie betäubt oder gar von Drogen benebelt – in die Augen blicken, die interagieren und irgendeine Lösung aushandeln wollen, lernen wir, wie unsere Mitbürger sich in Situationen verhalten, die wir im wirklichen Leben möglicherweise nie mitbekommen würden.
Die Leute wiederum, die sich in Sendungen wie Blind Date , Xtreme Dating oder 5 th Wheel zunächst vorsichtig über einem Teller Pasta oder sturzbetrunken in einer dieser ununterscheidbaren Neonspelunken beäugen, bevor sie sich – zumindest bei den unterhaltsamsten dieser Dates – in Whirlpools vulgäre Schmeicheleien zunuscheln, führen uns vor Augen, dass das Erlebnis der Liebe weder mit einem engelsgleichen Moment des Erkennens noch mit animalischer Lust zu tun hat, sondern Verhandlungssache ist – genau wie die Verhaftungen bei Cops . Im Abendprogramm werden das Blind Date und die Verkehrskontrolle zu den zwei paradigmatischen Begegnungen, die sich in Amerika zwischen Fremden ereignen. Das homogene, offizielle Amerika wird so vom bizarren Amerika widerlegt. Auf eine Art ist es auch durchaus beruhigend, bei dieser Offenheit und diesen Fummeleien zusehen zu dürfen. Endlich hat man mal die Gelegenheit, in Ruhe und ohne jede vermittelnde Dramatisierung jene Landschaft der immer gleichen Sonnenstudios, Restaurants und Aikido-Läden zu betrachten, die unser Land überziehen. Man hört die immer noch unterschiedlichen Dialekte, sieht aber zugleich jene unter dem Einfluss des Fernsehens universalisierten Verhaltensformen; die Verlegenheit zum Beispiel, wenn man nicht weiß, was man sagen und welche Seite der eigenen Persönlichkeit man hervorkehren soll. Die Sendungen sind so etwas wie ein maßstabsverkleinertes Modell unserer Gesellschaft, eine Art Fernseh-Arche, in die zwei Repräsentanten aller sozialen Gruppierungen, Milieus oder Professionen aufgenommen wurden.
Obwohl also nachweislich alle Frauen nach jemandem mit »Sinn für Humor« suchen, und auch wenn alle Männer eine Partnerin wollen, mit der sie »Spaß haben können«, obwohl alle guten Mädchen sagen, sie seien »verrucht«, und alle braven Jungs eingestehen, sie seien eigentlich »Casanovas«, hat das doch einen recht fragwürdigen Effekt auf die gnadenlos zum Scheitern verurteilten Versuche der Individuen, Trends und Verhaltensweisen zu imitieren, die ihnen das Fernsehen beigebracht hat und die das repräsentieren sollen, was da draußen im Moment wirklich abgeht. Zwischen Bescheidenheit und Angeberei hin und her zu schnellen wie ein Jo-Jo (»Ich bin ein ziemlich schlimmes Mädchen. Ich meine, ich bin meistens ziemlich schlecht im Bett.«); offen über Penisgrößen und Brustvergrößerungen zu sprechen; dabei komplett unterschiedliche Meinungen zu vertreten, wenn es um die Frage
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