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Blüten, Koks und blaues Blut

Blüten, Koks und blaues Blut

Titel: Blüten, Koks und blaues Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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auch Zeit…“
    Ich beugte mich aus einem Fenster und
informierte Pellegrini über den gestörten Anschluß. Der Kommissar schickte den
Fahrer, der immer noch seinen Streichholz-Zahnstocher im Mund hatte, auf die
Suche nach einem Haus mit intaktem Telefon.
    „Guten Tag, Monsieur Burma“, hörte ich hinter
mir eine rauchige Stimme. „Mein Haus scheint Ihnen ja sehr zu gefallen. Was ist
denn passiert?“
    Ich drehte mich um und sah eine Raymonde vor
mir, die ganz offensichtlich gerade aus dem Bett gestiegen war. Das Seltsame in
ihrem Blick erstaunte mich nicht. Nach dem belauschten Gespräch gestern abend wußte
ich, worauf es zurückzuführen war.
    „Ich habe Sie angelogen“, gestand ich mit einem
reuigen Lächeln. „Ich bin zwar tatsächlich in Geschäften hier, aber in krummen.
Ich bin nämlich Privatdetektiv...“
    „Und ein skrupelloser dazu!“
    „Bitte, seien Sie mir nicht böse.“
    Ich schilderte ihr die Situation. Sie hörte sich
meinen Bericht völlig unbefangen und unbeeindruckt an. Da ich von Berufs wegen
mißtrauisch bin, hatte ich den leisen Verdacht gehegt, daß sie den Toten
kannte. Ich hatte mich wohl getäuscht. Nichtsdestoweniger konnte man den
Haarschnitt des Flüchtenden als charakteristisch bezeichnen. Ich hatte den Mann
nie zuvor gesehen, ihn aber einwandfrei als den unsichtbaren Gast vom Vorabend
identifiziert, den heimatlosen Gentleman. Ich ging zu Pellegrini zurück.
    „Weiß der Teufel, woran er gestorben ist“,
brummte der Kommissar. „Nirgendwo eine Wunde von einem Messer oder einer
Kugel...“
    „Haben Sie ihn durchsucht?“ erkundigte ich mich.
„Wer ist der Tote?“
    „Niemand! Keine Ausweispapiere. Überrascht mich
aber nicht. Der Kerl, der abgehauen ist... mit unserem Wagen! ... hatte
bestimmt schon seine Taschen durchwühlt.“
    „Und seine Jacke mitgenommen. Aber doch wohl
nicht seine Schuhe... Jedenfalls nicht den rechten!“
    „Also ein Vagabund?“ vermutete Pellegrini.
    „Meinen Sie den Toten?“ fragte ich zurück. „Nein!
Sehen Sie sich das Hemd an. Schmutzig, aber maßgeschneidert. Paßt wie ‘ne
zweite Haut, wenn man das noch so sagen kann. Und die schöne Hose! Na ja, so
schön ist sie jetzt nicht mehr... Im allgemeinen kleiden sich Vagabunden nicht
so elegant.“
    Der Tote trug keine Krawatte, und der Hemdkragen
stand offen. Ich konnte das Etikett des Herstellers lesen: C. Ryley,
London (England).
    Plötzlich stieß ich einen entsetzten Schrei aus.
Ein Thymianstrauch hatte die rechte Hand des Unbekannten verdeckt. Durch einen
leichten Windstoß war der Strauch zur Seite gerutscht, und jetzt sah ich die
schrecklich zugerichtete Hand. Bis auf den Daumen waren die Finger eine einzige
abstoßende, furchtbare Brandwunde.
    „Hab ich gesehen“, kommentierte der Korse. „Komisch,
nicht? Sicher irgendeine Säure. Ein Schlauberger, der die Fingerabdrücke
unkenntlich machen wollte?“
    Ich dachte an etwas anderes. Doch bevor ich
meine Meinung dazu sagen konnte, kam der Streichholzlutscher angerannt. Er war
schon von Natur aus keine Schönheit, und auch die Kinnhaken hatten nichts daran
ändern können. Aber jetzt sah sein Gesicht noch entschieden häßlicher aus.
Sogar den Zahnstocher hatte er verloren. Was war vorgefallen?
    „Haben Sie telefoniert?“ schrie Pellegrini ihm
entgegen.
    „Konnte nicht“, keuchte er ganz außer Atem. „Schnell,
Chef... Hab was... entdeckt, glaub ich... Da drin... blutüberströmt... ein
Mann... ermordet...“
    In abgehackten Sätzen schilderte er, was er
entdeckt hatte. Er war in einen hübschen kleinen „Bingalov“ gestürzt, um zu
telefonieren, da... links...
    Pellegrini und ich ließen uns von ihm durch die
Strauchheide zu dem Haus führen. Der Gendarm blieb als Totenwache zurück.
    Für einen hübschen kleinen Bingalov, wie der
Fahrer ihn genannt hatte, war er gar nicht so klein, dafür aber sehr hübsch.
Drinnen noch mehr als draußen.
    Wir betraten einen weitläufigen Raum, eine Art
Atelier, spärlich möbliert mit wenigen Sitzgelegenheiten und einem Flügel. Der
Boden war von Notenblättern übersät, die nicht von dem Instrument gefallen
waren. Sie lagen in einer Blutlache. Von dem Raum führte eine Treppe auf eine
Galerie. Und dort oben lag auch die Leiche, ebenfalls in einer Blutlache. Mit
letzter Kraft hatte der Mann die Notenblätter nach unten geworfen.
    Wir gingen hinauf zu dem Toten. Keiner von uns
konnte einen Schrei unterdrücken. Der junge Mann beherbergte in Gesicht und
Körper etwa ein halbes Dutzend

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