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Blüten, Koks und blaues Blut

Blüten, Koks und blaues Blut

Titel: Blüten, Koks und blaues Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Bleikugeln. Darüberhinaus sah sein Gesicht aus,
als wäre es von Lepra zerfressen. Eine Säure... Sie hatte ihm die Augen
verbrannt, wie dem anderen, dem am Straßenrand, die Finger. Eine Spezialität
sozusagen. Diese Tatsache alleine erlaubte es, einen Zusammenhang zwischen den
beiden grausigen Funden herzustellen.
    Nie war die Anwesenheit von Fotografen, Ärzten
und dem ganzen erkennungsdienstlichen Kram nötiger gewesen als in diesem Fall.
Die Hand sorgfältig mit einem Taschentuch umwickelt, bediente sich Pellegrini
des Telefons. Er konnte jedoch noch so sehr was von „absolutem Vorrang“ in den
Apparat brüllen, es verging eine geraume Zeit, bis er das Hauptkommissariat an
der Strippe hatte.
    Schweißgebadet und wutschnaubend berichtete er
in knappen Worten von dem Mißgeschick, bei dem wir eine mehr oder weniger
klägliche Figur abgegeben hatten. Dann gab er seine Anweisungen: Straßensperre
errichten, Ambulanz schicken, Spezialtrupp alarmieren usw. usf. Wahrscheinlich
sei der Flüchtende bewaffnet, fügte er hinzu. Wahrscheinlich nicht, dachte ich
bei mir. Zumindest hatten wir keinen Revolver in seiner Hand gesehen.
Wahrscheinlich war eher, daß der Kommissar eine gute Ausrede für unser
schlechtes Abschneiden bei dem Boxkampf suchte, um seine Ehre zu retten.
Nachdem er aufgelegt hatte, verspürte er das urkomische Bedürfnis, eine
Erklärung für seine Lüge abzugeben.
    „Sie haben keine Waffe bei ihm gesehen, hm?“
fragte er herausfordernd. „Und eine verdächtige Bewegung haben Sie auch nicht
bemerkt, stimmt’s? Aber mit irgend etwas muß der Kerl diesen Mann hier
schließlich erschossen haben, oder? Denn... Es besteht doch wohl kein Zweifel,
daß er der Mörder ist! Überhaupt kein Zweifel, nicht wahr, Monsieur Burma?“
    Ich gab ein Knurren von mir, das mich nicht zu
sehr festlegte, und schlug dann vor, das Haus zu inspizieren. Vergeblich suchte
ich das Fahrrad des Hinkenden in der Garage, in der nur ein Ford stand. Aber
dafür machten wir im Schlafzimmer eine überraschende Entdeckung: ein schwarzer
Gehrock mit passender Weste, beides wie mit einem Rasiermesser zerschnitten,
und ein völlig kaputter orthopädischer Schuh für einen verkrüppelten rechten Fuß.
    „Die Klamotten von dem auf der Straße!“ rief
Pellegrini.
    „Jawohl“, stimmte ich ihm zu, „und in demselben
Zustand wie er selbst.“
    Die Taschen des Gehrocks gähnten vor Leere.
    „Immerhin wissen wir jetzt, daß er Engländer
war.“
    „Vor allem wissen wir das!“ höhnte der
Kommissar. „Was beweisen schon die Etiketten? Sehen Sie, meine Krawatte...
Kommt aus Liverpool. Und ich komme aus Bastia!“
    „Jedes Kleidungsstück des Toten, einschließlich
Spezialschuh, kommt aus England“, hielt ich dagegen. „Er kleidet sich in London
ein, wie ein Dandy! Dabei ist er bestimmt keiner.“
    „Nicht auf den ersten Blick.“ Pellegrini
lächelte. Er selbst konnte für sich nicht in Anspruch nehmen, elegant gekleidet
zu sein. „Die Qualität des Anzugs ist schlecht, fast miserabel. Sieht man
sofort. Wir Anglomanen pflegen in London anders...“
    „Ich an Ihrer Stelle als Anglomane würde ein
scharfes Foto von dem Toten draußen schießen“, fiel ich ihm ins Wort, „und es
per Belinogramm nach Scotland Yard schicken. Vielleicht ist er Ihren Kollegen
bekannt.“
    Wir setzten unsere Hausdurchsuchung fort. In
einem Wandschrank entdeckten wir ein 60 Zentimeter langes Stück Gartenschlauch.
Richtig zugeschnitten, war es der ideale Gummiknüppel. Im Keller fanden wir ein
gesprungenes Porzellangefäß. Die Spuren ringsherum ließen zweifelsfrei darauf
schließen, daß der Topf irgendeine Säure enthalten hatte. Außerdem lagen hier
unten noch ein paar Kupferplatten, Stricke, einige Patronenhülsen und, ganz
hinten in einer dunklen Ecke, die dazugehörige Waffe aus glänzendem Stahl. Doch
nicht alle Hülsen stammten aus diesem Revolver. Es fehlte nur eine einzige
Patrone.
    Der junge Mann, der oben in seinem Musikzimmer
lag, war mit einer Säure „behandelt“ und dann hier unten erschossen worden. Er
hatte seine letzten Kräfte zusammengerafft. Um auf die Galerie zu gelangen.
Doch warum? Um die Spur auf seinen oder seine Mörder zu lenken? Vielleicht.
    Zurück im Atelier, sah ich mir die
blutgetränkten Notenblätter genauer an. Der Ring der Nibelungen... Der
Fliegende Holländer... Musik von Richard Wagner. Ich spiele in keinem
Orchester. Was konnte ich also mit diesen Noten anfangen? Sollten sie mir
helfen, den Fall zu lösen? Hieß

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