Blüten, Koks und blaues Blut
Attentat, das auf mich verübt worden war. Um die Sache abzukürzen, sagte
ich ihm, ich wolle nach Nizza fahren.
„Ach, wirklich?“ lachte er. „Ich auch! Da können
wir ja zusammen fahren.“
Er zeigte auf das Polizeiauto am Straßenrand.
Hinter dem Steuer saß ein junger Beamter und knabberte auf einem Streichholz.
Der Gendarm auf dem Beifahrersitz säuberte sich mit seinem dreckigen
Daumennagel das Ohr. Pellegrinis Angebot abzulehnen, wäre undiplomatisch
gewesen. Ich nahm also an, fest entschlossen, mich nicht auf das seichte
Geschwätz des Kommissars einzulassen. Dann schon eher auf sein minutenlanges
Schweigen.
„Wollten Sie tat-säch-lich nach Nizza?“ fragte
er ungläubig, als der Wagen losfuhr.
„Halten Sie mich für einen Lüg-ner?“ gab ich
zurück.
Das stopfte ihm erst einmal das Maul. Er hüllte
sich in Schweigen.
Wir kamen gut voran. So früh am Morgen war die
Straße wenig befahren. Plötzlich bot sich uns ein seltsames Schauspiel: Am
Straßenrand lag ein menschlicher Körper, neben ihm kniete ein Mann, der ihn
abtastete. Als wir näher kamen, richtete sich der Mann auf.
„Halten Sie!“ schrie Pellegrini. Und zu mir
gewandt: „Wohl 5ne Leiche, was?“
„Sieht so aus.“
Mit quietschenden Bremsen hielt der Renault.
Pellegrini, der Gendarm und ich sprangen heraus. Nur der Fahrer blieb friedlich
hinterm Steuer sitzen und kaute weiter auf seinem Streichholz herum.
Der Mann neben dem leblosen Körper hatte
kurzgeschnittenes Haar — besser gesagt, sein Schädel war kahlrasiert — und trug
eine Sonnenbrille in dem blassen Gesicht, das Spuren von einem oder mehreren
Schlägen aufwies. Seine Nase blutete. Das Turnhemd ließ seine dünnen, weißen
Arme sehen, und die graue Flanellhose war offensichtlich neu. Seine nackten
Füße steckten in Sandalen. In der Hand hielt er eine Tasche aus schwarzem
Wachstuch.
Pellegrini fing an zu sprechen, konnte seinen
Satz jedoch nicht zu Ende bringen. Der Mann verpaßte ihm einen Schlag ins
Gesicht, der den überraschten Kommissar in den Straßenstaub schickte.
Bemerkenswert flink sprang der Boxer in den Dienstwagen. Der Fahrer war ein
schmächtiges Kerlchen und verdankte seinen Posten weniger seiner physischen
Eignung als psychischer Protektion anderer. Mit zwei gezielten Faustschlägen
war er aus dem Weg und aus dem Wagen geräumt. Der Mann in dem Turnhemd nahm
seinen Platz hinterm Steuer ein und raste los, in Richtung Cannes.
Neben mir knallte ein Schuß. Die Kugel verfehlte
ihr Ziel. Überraschung und Entrüstung wirkten sich fatal auf die
Treffsicherheit des überrumpelten Gendarmen aus.
Pellegrini rappelte sich korsisch fluchend hoch.
Ohne den Staub von seiner Kleidung abzuklopfen, lief er mitten auf die
Fahrbahn, in der Hoffnung, einen Wagen für die Jagd auf den fliehenden
Wegelagerer requirieren zu können. Doch, wie gesagt, so früh am Morgen war die
Straße wenig befahren. Ich lernte noch ein paar neue korsische Flüche kennen.
Sehr amüsant. Köstlich, wie dieser kleine Gauner den Flics einfach so ihren
Dienstwagen geklaut und sie stehengelassen hatte!
Der Gendarm kümmerte sich inzwischen um den
leblosen Körper. Vorsichtig tastete er die Herzgegend ab. Der Mann war noch
warm, aber bereits tot. Er trug ein ehemals weißes, doch jetzt dreckiges und
zerknittertes Hemd, dessen jämmerlicher Zustand von keinem Jackett verdeckt
wurde. Die elegante schwarze Hose paßte weder zur Jahreszeit noch zur
Situation. Allerdings war sie vom Knie abwärts durch einen Riß eigentlich
untragbar geworden. Der Mann war um die fünfzig, mit weißem Haar und rotem
Gesicht. Mein Blick fiel auf seine Füße. Er trug keine Schuhe, und sein rechter
Fuß war verkrüppelt. Dieses besondere Kennzeichen weckte in mir Erinnerungen.
Es handelte sich um den humpelnden Radfahrer mit
dem Aussehen eines Geistlichen, der mir am Abend zuvor in der Strauchheide
begegnet war. Und jetzt erkannte ich auch die Gegend wieder: Wir befanden uns
am Anfang des Weges, der zur Villa von Raymonde Saint-Cernin führte.
„Telefon!“ rief ich Pellegrini zu und zeigte auf La Pergola, die zwischen den Kiefern zu sehen war. Die andere Hand
preßte ich an mein Ohr, so als hielte ich einen Hörer.
Ich rannte zu der Villa meines heimlichen
Schwarms. Das Gartentor stand offen. Ich verlor keine Zeit und stürzte ins
Haus.
„Telefon!“ rief ich der Haushälterin zu, die
mich erschrocken anstarrte. Gleichzeitig wiederholte ich meine
Taubstummengeste.
„Kommen Sie wegen der Reparatur? Wurde
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