Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blüten, Koks und blaues Blut

Blüten, Koks und blaues Blut

Titel: Blüten, Koks und blaues Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
der im Keller lag? Das
Ganze hat sich ungefähr folgendermaßen abgespielt: Ronald Kree lag gefesselt im
Keller. In der Nacht konnte er sich von den Stricken befreien, wartete auf
seinen Kerkermeister und schüttete ihm Säure ins Gesicht. Der andere zog die
Waffe, schoß — nur einmal — und verfehlte sein Ziel. Klar, er konnte nur aufs
Geratewohl abdrücken. Dem Engländer gelang es, ihm die Waffe wegzunehmen und
sie in eine dunkle Ecke zu schleudern. Dann nahm er die Beine in die Hand und
hinkte fort. Nichts wie weg! Er wußte nämlich, daß sich noch ein zweiter Mann
im Haus befand. Der hört den Schuß und rennt in den Keller. Sieht Dufour, der
soeben sein Augenlicht verloren hat. Vermutlich schreit er vor Schmerzen. Nun
haben wir sogar zwei Tatmotive: Seine Schreie könnten die Nachbarn
herbeilocken, und er taugt nicht mehr als Hersteller von Blüten. Am besten, man
bringt ihn ein für allemal zum Schweigen. Was der Komplize umgehend und brutal
erledigt.“
    „Danach macht er sich an die Verfolgung des
Engländers, setzt ihm die tödliche Spritze, und in diesem Augenblick tauchen
Sie und Pellegrini auf.“
    „Reden Sie keinen Quatsch, mein lieber Leclercq!
Der Gerichtsmediziner hat erklärt, die Spritze sei fachmännisch gesetzt worden.
Ich glaube, dazu mußte der Patient schön stillhalten. Zum Beispiel, weil er
gefesselt war. Und weiter glaube ich, daß die Spritze ihn nicht töten sollte.
Im Gegenteil, würde ich sogar behaupten. Das Medikament ist ein schnell
wirkendes Stärkungsmittel. Kree muß ganz schön mitgenommen gewesen sein.“
    „Mitgenommen?“
    „Ja, mitgenommen. K.o.! Vergessen Sie nicht, daß
sein Kopf Bekanntschaft mit dem Gartenschlauch gemacht hat. Der Arzt vertritt
die Ansicht, daß nur einmal zugeschlagen wurde, um den Engländer kurzfristig
außer Gefecht zu setzen. Meine Ansicht dagegen ist es, daß man den Knüppel
immer und immer wieder geschwungen hat, stundenlang. Man nehme einen stumpfen,
hohlen Gegenstand, schlage in regelmäßigen Abständen auf die Schläfen eines
schweigsamen Herrn, den man auf diese Weise zum Reden bringen will. Diese...
überzeugende Methode hat den Vorteil, den störrischen Gesprächspartner nicht
gleich umzubringen. Kann sein, daß sein Gehirn etwas weichgeklopft wird... Nun,
die Folterknechte sehen, daß mit Ronald Kree nicht mehr viel anzufangen ist.
Sie fürchten, zu weit gegangen zu sein, und das ist ihnen gar nicht recht.
Nicht aus Achtung vor dem menschlichen Leben, oh nein! Aus Angst, nichts aus
ihm herauskriegen zu können! Wahrscheinlich sollte der Hinkende ihnen etwas
verraten, etwa, wo sich ein bestimmter Gegenstand oder irgendwelche Dokumente
oder so was Ähnliches befanden. Auf der Suche danach hatten sie bereits seine
Kleider zerrissen und seine Schuhe auseinandergenommen. Wie dem auch sei, sie
verabreichen ihm das Stärkungsmittel. Leider machen sie die Rechnung ohne das
schwache Herz des Engländers! Es wurde bereits durch die Folter hart auf die
Probe gestellt. Jetzt versagte ihm das arme Herz einfach den Dienst.“
    „Hypothesen“, urteilte Leclercq.
    „Bis sie bestätigt werden, begnüge ich mich
damit“, erwiderte ich genügsam. „Übrigens liefert mir das Mittel einen wichtigen
Hinweis auf einen seiner Henker. Das Medikament wurde nicht speziell für diesen
Zweck besorgt. Er hatte es bei sich und handelte sozusagen in gutem Glauben an
seine Wirkung. Einer der Männer spritzt es sich regelmäßig. Seine Gesundheit
läßt also zu wünschen übrig. Dufour war kräftig…“
    „Na schön. Dann war dieser Kree demnach ein
Feind und nicht ein Komplize der...“
    Hélène stieß einen kurzen Schrei aus, so als
habe sie eine Erleuchtung. Sie sprang auf und schnippte mit den Fingern. Ihre
Augen leuchteten.
    „Ein Feind!“ rief sie aufgeregt. „Ein Feind!
Ronald Kree war Engländer. Hatte ihn vielleicht Scotland Yard geschickt?“
    „Daran habe ich auch schon gedacht.“ Das stimmte
zwar nicht, aber ich wollte meinen Ruf als Spürnase nicht verlieren. „Doch würde
das die halbjährlichen Reisen an die Côte erklären? Nein. Er sah mehr nach
einem Geistlichen aus. Na ja, wir werden’s bald erfahren. Pellegrini hat seinen
Kollegen in London Krees Foto geschickt.“
    Leclercq war der einzige, der noch etwas im Glas
hatte. Er holte den Rückstand auf und stellte dann eine seiner ketzerischen
Fragen:
    „Welche Rolle spielt in Ihrer Theorie der Mann,
der im Dienstwagen geflohen ist? Die des zweiten Komplizen, der Dufour
erschossen

Weitere Kostenlose Bücher