Blüten, Koks und blaues Blut
hat?“
„Die Umstände sprechen dafür, nicht wahr? Aber
wenn man sie sich näher ansieht, haut es nicht hin. Ich habe Ihnen doch gesagt,
wer dieser Mann ist. Ein Haftentlassener aus Nîmes. Zuerst hatte ich die ewige
Dreiecksgeschichte im Kopf: eine Frau zwischen zwei Männern. Raymonde, ihr
früherer Geliebter Marcel und Dufour, ihr neuer. Verbrechen aus Leidenschaft,
dachte ich. Doch dann mußte ich feststellen, daß Raymonde Saint-Cernin Dufour
kaum kannte. Darüberhinaus hat Marcel nichts von einem eifersüchtigen Wüterich,
sondern mehr von einem Menschen mit verlorenen Illusionen. Nein, die Theorie,
die wir eben aufgestellt haben, paßt besser zu den Fakten und zu den
Charakteren der Beteiligten. Welche Rolle sollte Mister Kree außerdem in dem
Liebesdrama spielen?“
„Und welche Rolle spielt Marcel in der anderen
Version?“ gab Leclercq lächelnd zurück.
„Marcel war mit einem Turnhemd bekleidet. Oder
mit einem altmodischen Badeanzug. Nehmen wir einfach mal an, er wollte an den
Strand gehen. Auf halbem Wege begegnet er dem Engländer, der vor seinen Augen
zusammenbricht. Ich weiß aus dem belauschten Gespräch mit der Schriftstellerin,
daß Marcel Arzt ist. Automatisch beugt er sich über den leblosen Körper. Wie
ein Arzt eben. In diesem Augenblick kommen wir unglücklicherweise vorbei. Wenn
man mich anklagen würde, die Türme von Notre Dame geklaut zu haben, würde ich
untertauchen. Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat. Marcel jedenfalls
sieht die Polizeiuniformen und hat nur einen Gedanken: Fliehen! Er kommt gerade
aus dem Gefängnis, hat keine Aufenthaltsberechtigung und kann sich ausrechnen,
wie man seine Geschichte aufnehmen wird. Also nichts wie weg! Er flieht, und
zwar in dem Dienstwagen der Flics! Wenn Sie das gesehen hätten... Allein
Pellegrinis Gesicht war die Reise wert!“
„Sagten Sie, Marcel ist Arzt? Nun, die Spritze
hat ein Fachmann gegeben...“
„Den Fehler hab ich schon einmal gemacht. Und
zwar, als ich Lebrot für den einzigen Grafiker auf der Welt hielt. Nein, es
gibt noch andere Grafiker... und andere Arzte!“
Leclercq sah mich trotzig an, noch nicht so ganz
überzeugt. Ich beschloß, ihm den Gnadenstoß zu versetzen.
„Es gibt einen weiteren Beteiligten, den wir
noch nicht kennen“, fuhr ich fort. „Es ist der Komplize, der Dufour getötet und
dem Engländer die Spritze verpaßt hat. Eine unbequeme Frage haben Sie mir nämlich
noch nicht gestellt: Was ist aus dem geliehenen Fahrrad geworden? In Dufours
Villa steht es nicht. Also ist der Komplize damit abgehauen. Jetzt werden Sie
ein wenden: Warum hat er nicht den kleinen Ford genommen, der in der Garage
stand? Stimmt. Er hat ihn nicht genommen. Warum nicht?“
„Vielleicht kann er nicht Auto fahren?“
„Das wäre die einfachste Erklärung. Zu einfach
für meinen Geschmack. Könnte es noch einen anderen Grund geben?“ Das Spiel
hieß: Wie stelle ich am besten meine Fragen, damit ich sie gleich selbst
beantworten kann? „Ja, es gibt einen. Zum Beispiel macht ein Auto mehr Lärm als
ein Fahrrad. Und mit so einem Drahtesel kann man querfeldein zur Straße
gelangen. Mit dem Ford hätte er den einzigen Feldweg nehmen müssen, an dessen
Ende drei Flics und ein Privater warteten. Woher wußte er, daß wir da standen?
Weil er Ronald Kree auf den Fersen war und zuerst Marcel und dann unsere kleine
Ausflugsgesellschaft gesehen hat. Um einer weiteren verdammten Frage
vorzubeugen: Natürlich hatte er vorgehabt, Dufours Leiche verschwinden zu
lassen. Das Auftauchen der Polizei hielt ihn davon ab. Ihm blieb nur die
Möglichkeit, Reißaus zu nehmen. Und das nahm er dann auch. Reißaus und alles
mit, was in der Villa auf die Fälscherbande hätte hindeuten können. Die
Schubladen waren in aller Eile leergeräumt worden. Sogar Krees Ausweispapiere
hat er mitgehen lassen.“
„Wir suchen also einen Unbekannten, von dem wir
nur wissen, daß er mit einem geklauten Fahrrad durch die Gegend saust. Sonstige
Beschreibungen haben Sie nicht? Zum Beispiel, daß er eine Armbanduhr trägt und
die Nase mitten im Gesicht... Ach ja, stimmt! Blutarm ist er, das hatte ich
ganz vergessen!“
„Seien Sie bitte nicht so pessimistisch,
Monsieur Leclercq“, protestierte Hélène.
Wir kamen auf die Schüsse zu sprechen, die auf
mich abgegeben worden waren. Doch eine Viertelstunde später waren wir noch
nicht weiter. Wir konnten nur vermuten, daß die Fälscherbande mich aus dem Weg
räumen wollte. Aber warum? Weil ich zuviel über sie
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