Blüten, Koks und blaues Blut
auf ihre Lippen. Auch
wenn sie ziemlich weggetreten war, kriegte sie noch alles genau mit. Entrüstet
machte sie sich von mir los.
„Sie gehen aber schnell ran“, bemerkte sie
vorwurfsvoll.
„Liegt in der Familie“, erklärte ich. „Ich war ‘ne
Frühgeburt.“
Ich ergriff ihren Arm, zog sie aus dem Hotel auf
die Straße und rief ein Taxi.
In Cannes gab es nur zwei Männer, die mir meinen
speziellen Wunsch erfüllen konnten. Einer von ihnen war Ange Pellegrini, auf
den ich aber kaum zählen konnte. Blieb also nur Frédéric Pottier, Frédo für
seine Freunde. Ich nannte dem Taxichauffeur die Adresse, die Frédo mir gegeben
hatte.
Es war ein vierstöckiges Ziegelsteingebäude, an
dessen Fenstern Wäsche zum Trocknen hing. Nicht grade schmutzig, aber ganz
bestimmt auch nicht luxuriös. Ein altes Weib stand vor der Haustür und atmete
die verschiedenen Gerüche der lauen Sommernacht ein. Die Frau war zwar nicht
die Concierge, wußte aber genausogut Bescheid. Monsieur Pottier wohne ganz
oben, unterm Dach, klärte sie uns auf.
Wir stiegen eine dunkle Treppe hinauf. Es gab
keinerlei Beleuchtung, und bevor wir oben ankamen, hatte ich eine Schachtel
Streichhölzer verbraucht. Ein Lichtstrahl kroch unter einer Tür hervor. Ich
klopfte, was das Stimmengemurmel drinnen zum Verstummen brachte. Niemand
antwortete. Ich trommelte gegen die Tür. Frédos Stimme fragte, wer da sei. Ich
nannte meinen Namen.
„Burma?“
Eine ganze Reihe erstklassiger Flüche drückte
mehr als nur Überraschung aus.
„Beherrschen Sie sich“, bat ich ihn. „Ich bin in
Begleitung einer Dame!“
Mein liebenswürdiger Ton paßte gar nicht zu
meinem Verhalten. Die eigenartigen Geräusche in der Wohnung gefielen mir nicht,
und so nahm ich für alle Fälle meine Automatic in die Hand. Raymonde
Saint-Cernin hatte den Höhepunkt ihrer Entzugserscheinungen erreicht und wurde
immer ungeduldiger.
„Los, öffnen Sie schon!“ flehte sie und schlug
mit ihren kleinen Fäusten gegen die Tür.
Drinnen herrschte wieder Stille. Dann sagte eine
Stimme, die nicht zu Frédo gehörte:
„Bist du’s, Raymonde?“
„Ja“, antwortete sie ohne einen Anflug von
Überraschung.
In der Wohnung gab es einen kurzen Wortwechsel,
ich hörte Frédo sagen: „Wie Sie wünschen“, Riegel wurden zurückgeschoben, und
die Tür öffnete sich. An Frédos nacktem, tätowiertem Arm hing ein
funkelnagelneuer 7.35er.
Hinter ihm stand der Mann, der gar keine
Berechtigung hatte, sich hier aufzuhalten, eine Gauloise im Mund, das linke
Auge zugekniffen, um es vor dem Rauch zu schützen. Unter der geöffneten
Dachluke stand ein Stuhl.
Wie eine Wahnsinnige stürzte Raymonde in die
Arme von Marcel Chevalme. Frédo bedeutete mir durch eine Bewegung des
Revolverlaufs, ins Zimmer zu treten. Ich war überzeugt, daß er zum ersten Mal
solch eine Waffe aus der Nähe sah, was nur um so gefährlicher war.
„Unsere Kanonen starren sich an wie zwei
Kaminhunde“, lachte ich. „Wir müssen ziemlich blöd aussehen! Wenn Sie aufhören
würden, mich wie einen falschen Priester zu behandeln, könnten wir die Dinger
wegstecken.“
Als Vorleistung ließ ich meine Automatic in den Tiefen meiner Jackentasche verschwinden.
„Ich glaube, das können Sie auch tun“, sagte
Marcel. „Raymonde hat mir grade erzählt, was der Flic hier will.“
„Wie Sie meinen“, knurrte Frédo, den ich in
dieser Rolle noch nicht kennengelernt hatte.
Sein 7.35er verschwand.
„Setzen Sie sich“, lud er mich ein. „Wenn Sie
aber gekommen sind, um Marcel mitzunehmen... Bin kein guter Schütze, doch aus
dieser Entfernung werd ich Sie wohl treffen!“
„Reizende Aussichten“, seufzte ich und ließ mich
auf den Stuhl fallen. „Was veranlaßt Sie, den Schutzengel zu spielen? Verdanken
Sie dem Herrn da soviel? ... Ach ja, das ist bestimmt der nette Kerl aus Nîmes,
der für Sie in Einzelhaft gesessen hat, stimmt’s? Na ja, Dankbarkeit ist eine
Zier... Hören Sie, Chevalme...“ Der Angesprochene fuhr hoch. „Überrascht, daß
ich Ihren Namen kenne? Nein, Madame Saint-Cernin hat ihn mir nicht verraten.
Werd Ihnen später erzählen, was ich sonst noch so über Sie weiß. Hab die
Informationen heute ganz frisch aus Paris gekriegt.“ Ich zog Covets Brief
hervor und reichte ihn dem Arzt. „Übrigens, ich bin von Ihrer Unschuld genauso
überzeugt wie Sie! Doch deswegen bin ich gar nicht hier. Sagen Sie, Chevalme,
haben Sie das Opium bei sich, das Sie Ihrer Freundin weggenommen haben?“
Er nahm die
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