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BLUFF!

BLUFF!

Titel: BLUFF! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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höchst humorvoll mit den Schattenseiten der Psychoanalyse auseinander. Das Frau-Lot-Syndrom nennt er die von der Psychoanalyse bisweilen geförderte Angewohnheit, immer wieder in die Vergangenheit zu blicken, und tatsächlich kann man da Patienten begegnen, die ihre Zukunft verpassen, weil sie sich in ihrer Vergangenheit verlaufen haben.
    Paul Watzlawick war einer der Begründer der systemischen Therapie. Das klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Therapeuten wie er gehen davon aus, dass der Mensch nicht bloß ein isoliertes Individuum ist, sondern dass er in einem System von Mitmenschen, von Bedeutungen und Gewohnheiten lebt und dass manche Menschen irgendwann in ihrem Leben in eine Sackgasse geraten, indem sie immer wieder etwas tun, was nicht funktioniert. Anstatt diese störende Gewohnheit nun immer wieder zu besprechen und sie auf ihre Ursachen hin zu untersuchen, schlagen Systemiker vor, in solchen Fällen einfach einen Unterschied zu machen, der einen Unterschied macht, also einfach den Kontext beziehungsweise die Perspektive an einem ganz bestimmten Punkt deutlich zu verändern. Manchmal kann es ausreichen, bloß den Ort des störenden Verhaltens zu verändern. Beispiel Ehestreit: Wenn der beide Seiten bloß noch nervende ritualisierte Krieg vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer verlegt wird, kann das auf erfreuliche Weise den eingefahrenen Ritus durchbrechen und zu fruchtbaren Ergebnissen führen.
    Natürlich ist das nicht immer einfach, aber Systemiker finden oft höchst kreative Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme. Mich beeindruckten solche Anregungen, die nicht vor allem die Vergangenheit und die Probleme, sondern die Zukunft und Lösungen in den Blick nahmen. Dabei hatten Systemiker, wie schon gesagt, eine interessante Sicht der Wahrheit. Genau gesagt, die Wahrheit interessierte sie einfach nicht. Sie kannten nur mehr oder weniger nützliche Perspektiven von der Welt, und so etwas wirkte auf mich nach den ideologischen Verrenkungen, die ich in meiner psychoanalytischen Ausbildung kennengelernt hatte, befreiend.
    Streng genommen wäre es Systemikern daher auch ganz egal, ob die Welt gefälscht ist. Mit einer erfreulich oder nützlich gefälschten Welt würden sie sich wahrscheinlich sofort arrangieren. Als Therapeuten jedenfalls. Dass es bei Systemikern also die Wahrheit augenscheinlich nicht gab, störte mich nicht weiter, denn ich war ja vor allem Arzt geworden, um leidenden Menschen zu helfen, und das konnte man offensichtlich auch, wenn man es dahingestellt sein lässt, ob das alles wahr ist oder nicht, ob es um die Wahrheit der eigenen Psychotheorie oder um die Wahrheit der Geschichten der Patienten geht. Das mag alles ziemlich theoretisch klingen, kann aber höchst praktische Konsequenzen haben.
     
    Kaum hatte ich mich mit solchen Ideen befasst, gab es auf unserer geschlossenen Station einen beunruhigenden Vorfall. Eine schwer kranke Patientin, die immer wieder gefährliche Suizidversuche begangen hatte, war auf dem Wege der Besserung und hatte am Wochenende erstmals Ausgang erhalten. Wir hatten mit ihr vorher ein Programm abgesprochen, und als sie am Sonntagabend pünktlich zurückkam, berichtete sie strahlend, es hätte alles ganz toll geklappt. Der Höhepunkt sei am Samstag der Opernbesuch gewesen, und sie schilderte sehr anschaulich die Aufführung. Und da geschah das völlig Unerwartete. Zum Spätdienst erschien eine Krankenschwester, die zufällig am selben Abend in die gleiche Oper hatte gehen wollen. Doch die Aufführung war – ausgefallen.
    Im Team machte sich Panik breit. Wie sollte man dieser Patientin überhaupt noch etwas glauben, wenn sie so abgefeimt log? Und angesichts der brutalen Suizidversuche fühlte man sich besonders darauf angewiesen, dass man ihr vertrauen konnte. Doch schnell waren wir uns einig, dass es uns nicht um die Wahrheit gehen musste, sondern darum, einer schwer leidenden Patientin zu helfen – und der ging es nach diesem Wochenende prächtig. Also führten wir ein Gespräch mit ihr, in dem wir beiläufig erwähnten, dass wir erfahren hätten, dass die Opernaufführung nicht stattgefunden habe, dass das aber gar nicht schlimm sei. Denn manche Patienten könnten sich in ihrer Phantasie so intensiv in eine solche Situation hineinversetzen, als hätten sie sie erlebt, und das wirke sich auf ihre Verfassung genauso positiv aus, als wenn sie das wirklich erlebt hätten. Diese Intervention verbesserte unser therapeutisches Verhältnis zu dieser Patientin

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