BLUFF!
er in seinem Job fleißig arbeitet, hat er mit dem normalen Leben mutmaßlich herzlich wenig zu tun. Warum soll er dann eigentlich da besonders kompetent sein? Dennoch biegen sich die Psychoregale in den Buchhandlungen von Ratgebern irgendwelcher höchst spezieller Psychoexperten, denn natürlich hat jeder verflixt noch mal gewisse Probleme im Alltag, und da verspricht der Buchtitel endlich ultimative Hilfe.
c) Coachen, bis der Arzt kommt
Die besonders geschäftstüchtige Sorte produziert dann gleich selber ihre eigene Problem-Lösungswelt. Das beste Beispiel sind sogenannte Personalberater, die Personalchefs »coachen« – so heißt das kompetent klingende Fremdwort –, aber auch Bewerber für Bewerbungsgespräche trainieren. Das ist inzwischen ein riesiger Markt, weil offenbar in einer gefälschten Welt mit Menschen, die bloß noch Rollen spielen, Menschenkenntnis ein rares Gut geworden ist und sich jedenfalls niemand mehr zutraut, hinter den zur Schau gestellten Fassaden die eigentlichen Fähigkeiten eines Menschen zu sehen und zu beurteilen. Das können Personalberater natürlich auch nicht. Stattdessen vermitteln sie aber Sicherheit. Wie sie das machen, ist ein Schelmenstück, aber da das keiner wirklich durchschaut, spielen alle mit, und der Rubel rollt. Das geht dann zum Beispiel so: Man erklärt den Personalchefs auf teuren Fortbildungsveranstaltungen, dass Bewerber, die die Arme verschränken, verklemmte Leute sind, dass Frauen in kurzen Röcken zu sexuellen Übergriffen neigen, dass Leute, die einem ins Wort fallen, Schwierigkeiten mit Vorgesetzten bekommen werden, oder womöglich, dass Bewerber, die beim Sitzen das rechte Bein über das linke schlagen, charakterlich nicht gefestigt sind. Die Personalchefs schreiben das alles wissbegierig mit und vermuten beim Personalberater umso mehr allerhöchste Kompetenz, je absonderlicher und detaillierter die Informationen ausfallen.
Der gleiche Personalberater veranstaltet in der darauffolgenden Woche ein Bewerbertraining, bei dem er für Bewerbungsgespräche aus seiner reichen Erfahrung den dringenden Rat gibt, niemals die Arme zu verschränken, als Frau keine kurzen Röcke zu tragen, dem Personalchef niemals ins Wort zu fallen und jedenfalls unter gar keinen Umständen das rechte Bein über das linke zu schlagen. Macht man sich so etwas klar, wird deutlich, dass die in Deutschland stattfindenden Bewerbungsgespräche inzwischen reine Kunstprodukte sind, deren Produzenten viel dabei verdienen, erwachsene Menschen wider Willen eine Komödie aufführen zu lassen, die vor allem eines vermeidet: dass beide Teile sich wirklich kennenlernen. Das Bewerbungsgespräch wird zur falschen Welt par excellence.
Als ich einer solchen Coacherin sagte, ich würde jeden Bewerber ablehnen, bei dem ich merkte, dass er bei jemandem wie ihr ein solches Training durchlaufen habe, war sie erstaunt. Ich wies darauf hin, dass ich in der vergleichsweise kurzen Zeit, die man für ein Bewerbungsgespräch hat, einen Menschen so weit wie möglich wirklich kennenlernen möchte und verärgert reagiere, wenn ich merke, dass mir da nur etwas vorgespielt wird. Ich finde, dass ein Bewerber seine Macken im Bewerbungsgespräch gar nicht sonderlich verheimlichen sollte, denn spätestens in der Probezeit merke ich das ja dann doch, und eine Kündigung in der Probezeit ist für beide Seiten eine unangenehme Sache.
Am besten fälscht sich ein Bewerber nicht selbst und ist beim Bewerbungsgespräch so, wie er ist, zumindest wie er beruflich ist. Die ganzen pseudopsychologischen Mätzchen sind im Übrigen natürlich Unsinn. Jemand, der mal die Arme verschränkt, hat sich diese Haltung vielleicht von seinem letzten Chef abgeschaut, ihm ist kalt, oder er hat gerade gemerkt, dass er genau an dieser Stelle einen Fleck auf dem Jackett hat, der kurze Rock einer Frau kann auch einfach emanzipiertes Selbstbewusstsein signalisieren und hat nichts mit irgendwelchen lasziven Männerphantasien zu tun, und wenn mir jemand dauernd ins Wort fällt, weil er überströmend gescheit ist und noch nicht genug Lebensweisheit besitzt, um das nicht alle merken zu lassen, dann traue ich mir zu, dass er bei uns lernen kann, wie man etwas bescheidener auftritt. Mir ist so jemand jedenfalls lieber als ein höflicher Dummkopf. Das mit den übereinandergeschlagenen Beinen war ohnehin nur ein Witz, aber ich bin mir leider ziemlich sicher, dass man gläubigen Fortbildungsseminarteilnehmern auch so etwas ohne weiteres unterjubeln
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