BLUFF!
anheimfiel, ziemlich befremdlich und im Übrigen auch nicht ganz ungefährlich. Denn wie will man auf solche Weise therapeutische Fehler erkennen? Und so kann der Misserfolg der Therapie dann auch konsequenterweise niemals an der eigenen Methode liegen, sondern selbstverständlich nur am Patienten, der »im Widerstand« ist, »nicht motiviert« ist oder »agiert«. Patienten sind offenbar schreckliche Menschen. Auf solche Weise bleibt die heile Welt der Psychoanalyse immer in Ordnung, und niemand kann auf den Gedanken verfallen, dass diese ganze Welt – vielleicht ganz einfach falsch sein könnte.
Ich erinnere mich gut der naiv-gläubigen Gesichtszüge eines Ausbildungskandidaten, der immer in der ersten Reihe saß und auch wirklich alles mitschrieb und der immer so etwas fragte wie, was denn nun wirklich im zweiten Lebensjahr in einem Kind vorgehe. Und anstatt der heute wissenschaftlich gültigen Antwort, das könne man nun mal nicht genau wissen, erhielt er ultimative Offenbarungen vom Dozenten, der sich dafür auf psychoanalytische Autoritäten berief, wie bei mittelalterlichen Autoritätsbeweisen. Und doch hatte bereits im Mittelalter Thomas von Aquin mit aller wünschenswerten Klarheit gesagt: »Philosophie hat nicht die Aufgabe, zu erfahren, was andere Leute gesagt haben, sondern zu erfahren, wie die Wahrheit der Dinge sich verhält.« Der Fragesteller freilich, dessen treuherziger Blick übrigens viel Ähnlichkeit mit Truman Burbank aufwies und der immer einen bestimmten unbeschreiblichen Pullover trug, suchte eigentlich nicht nach Wahrheit, sondern nach der untrüglichen Sicherheit einer Weltanschauung, und der Dozent gab sie ihm ein ums andere Mal. Solche Leute leben in ihrer eigenen psychoanalytischen Welt, mit Neurosen, Regressionen, Projektionen, Abspaltungen, Verdrängungen, Verleugnungen, Widerständen und Übertragungen wie mit Plüschtieren, die alles heimelig und irgendwie bekannt erscheinen lassen.
Wird diese Welt in Frage gestellt, dann können sie ungemütlich werden, die Regisseure der psychoanalytischen Kunstwelt. Als Dieter E. Zimmer, ein Redakteur der »Zeit«, manchen Artikel und schließlich ein gut recherchiertes und sehr unterhaltsames Buch über die Irrtümer und Katastrophen der Psychoanalyse mit dem Titel »Tiefenschwindel« schrieb, hagelte es heftigste Beschimpfungen von vielen gestandenen Psychoanalytikern – die er amüsiert gleich mit abdruckte. Andererseits bekennt in Frankreich ein Analytiker sein Entsetzen und seine Scham darüber, wie er erleben musste, dass ein depressiver Patient in kürzester Zeit mit einem der neuen antidepressiven Medikamente geheilt wurde, obwohl das allem völlig widersprach, was er bisher über einen notwendigen langen psychoanalytischen Prozess vertreten und umgesetzt hatte.
Schon Einstein hatte davon gesprochen, es sei nichts tragischer als die Ermordung einer schönen Theorie durch eine hässliche Tatsache. Umso mehr versucht man mit aller Kraft die Wahrheit der eigenen Ideologie zu retten. Man scheut dabei nicht vor Fouls zurück: Die Verhaltenstherapie, die wissenschaftlich bekanntlich die meisten guten Resultate vorzuweisen hat, bleibe nur an der Oberfläche, und in Wirklichkeit und in Wahrheit und eigentlich sei das alles ja ganz anders. Mit bemitleidenswert komplizierten Theorien versucht man eine Welt, die man nicht mehr versteht, psychoanalytisch zu deuten, doch diese intellektuellen Klimmzüge wirken wie die Astrolabien von dazumal, die die Planetenbahnen unter der komplizierten Grundvoraussetzung abbildeten, dass die Erde im Mittelpunkt stehe. Irrtümer zu verteidigen ist intellektuell oft erheblich mühsamer, als schlicht die Wahrheit zu vertreten. Mit der Sonne in der Mitte wäre alles bekanntlich viel einfacher gegangen, doch das sah die damalige Weltanschauung eben nun mal nicht vor.
Als ich übrigens dem umstrittenen Psychotheologen Eugen Drewermann zum ersten Mal begegnete, fiel mir an ihm sofort ein ganz ähnlicher Pullover auf wie bei meinem analysefrommen Ausbildungskollegen und ebenso die wahrheitsschwangere Humorlosigkeit, mit der auch er seine psychoanalytischen Theorien vertrat. Dem alten klugen und humorvollen Psychoanalytiker aus Wien, der mich ausgebildet hat, ist er wohl nie begegnet.
Die Welt der Psychoanalyse ist falsch, jedenfalls nicht wahr, doch was trägt eine Psychotherapierichtung, die zwar berufspolitisch noch über manchen Einfluss verfügt, aber deren Effizienz wissenschaftlich inzwischen höchst
Weitere Kostenlose Bücher