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BLUFF!

BLUFF!

Titel: BLUFF! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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umstritten ist, zur Fälschung der Welt im Ganzen bei? Therapeutisch waren bekanntlich bereits die »Erfolge« Freuds höchst mager, aber publizistisch feierte er beispiellose Triumphe. Und das lag ausgerechnet an den weltanschaulichen Aspekten seiner Lehre, die sie heute so sehr in Misskredit bringen. Im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, als man noch nicht in dem Glauben erschüttert war, man werde demnächst naturwissenschaftlich die ganze äußere Welt verstehen, gab es scheinbar nur noch ein einziges ganz unerforschtes Gebiet: die innere Welt des Menschen. Der fortschrittsgläubige wissenschaftliche Optimismus brach sich an den unsäglichen Verklemmtheiten einer in sexuellen Obsessionen erstarrten Bürgerwelt. Jeder hätte da Aufsehen erregt, der plötzlich hemmungslos über Sexualität gesprochen und geschrieben hätte. Am ehesten hätte man mit so jemandem wahrscheinlich kurzen Prozess gemacht und ihn aus dem Verkehr gezogen.
    Doch Freud ging subtiler vor. Als Arzt konnte er, in der Absicht, leidenden Menschen zu helfen, mehr sagen, schreiben und tun als gewöhnliche Sterbliche. Und da er seine »therapeutische Kur« mit höchst gebildeten Deutungen, zum Beispiel dem klassischen Mythos vom tragischen König Ödipus, garnierte, waren die bildungsstolzen Kreise, in denen er seine Patienten fand, schnell fasziniert. Hinzu kam, dass er aus der Psychoanalyse eine Weltdeutung machte, ein Passepartout, mit dem man Leben und Tod, Krieg und Frieden, ja sogar den Moses von Michelangelo angeblich definitiv verstehen konnte. Die Psychoanalyse ließ eine ganze phantastische innere Welt entstehen und füllte so ein Vakuum in einer religionsmüden Zeit. Sie war wie eine gnostische Geheimsprache, durch die sich gebildete A-gnostiker raunend miteinander verständigen konnten. Keine Frage, auch wenn die Freudsche Psychoanalyse bloß eine ausgedachte Welt schuf und nur eine Pseudosicherheit vermittelte, sie wirkte emanzipatorisch für viele, die gefangen waren in den leibfeindlichen Verrenkungen einer erstarrten und morbiden bürgerlichen Welt. Das ist ihr unbestreitbares Verdienst, und davon zehren ihr Mythos und ihr Einfluss aufs allgemeine Bewusstsein noch heute.
    Doch die Freiheit, die die Psychoanalyse zu versprechen schien, war auch nur eine Illusion, denn dadurch, dass sie alle letzten Ursachen in der nicht mehr veränderbaren frühen Kindheit festmachte, schien hier gleichfalls plötzlich alles erklärbar und nicht mehr wirklich frei. Und so war auch in dieser Psychowelt alles reduziert, nicht auf Atome und Wellen wie in der Physik, sondern jetzt hieß es einfach, alles menschliche Verhalten sei »nichts anderes als« ein Reflex auf Erlebnisse der frühen Kindheit, »nichts anderes als« eine Reaktion auf die Eltern, »nichts anderes als« ein Spiel von triebhaftem Es, leidvollem Ich und moralischem Über-Ich. Und den Clou, das Drehbuch dieses Spiels, kannte nur die Psychoanalyse, die Psychoanalyse allein. Freiheit sieht anders aus. Gewiss, es gibt auch heute noch hervorragende Psychoanalytiker, die gute Arbeit leisten, doch manche voll durchanalysierten Mitmenschen wirken merkwürdig befangen in einer irgendwie bewusst wohltemperierten Emotionalität. Als die Therapieeffizienzforschung in unseren Tagen feststellte, dass die große Psychoanalyse allenfalls für Gesunde geeignet ist, war plötzlich Feuer unterm Dach. Denn das war der Offenbarungseid für eine Therapieform, deren Stern ohnehin schon im Sinken begriffen war. Das hohe Renommee freilich, das Psychoexperten heute unverändert genießen, verdanken sie noch immer der scheinbar alles verstehenden spektakulären Psychoanalyse.
    Doch die Psychowelt ist nicht wahr, sie ist eine Konstruktion, die manchmal nützlich ist, sie weiß nichts von der eigentlichen Welt, von Liebe, Gott, dem Sinn des Lebens und der Gefahr des Bösen. Sie kennt nur kranke Schuldgefühle und weiß nichts von wirklicher Schuld, sie kennt unersättliche Liebessehnsucht und weiß nichts von wirklicher Liebe, sie kennt religiöse Verirrungen und weiß nichts von Gott oder dem Sinn des Lebens. Deswegen ist gute Psychotherapie immer bescheiden.
    b) Ein phantastischer Opernbesuch
    Als ich mich dann mit anderen Psychotherapieformen beschäftigen wollte, stieß ich auf Paul Watzlawick. Er war ein renommierter Kommunikationswissenschaftler und Psychotherapeut und hatte sogar einen Bestseller geschrieben mit dem schönen Titel »Anleitung zum Unglücklichsein«. In diesem kleinen Buch setzte er sich

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