BLUFF!
und letztlich auch die Richterin selbst, die zwar tatsächlich von Beruf Richterin ist, aber hier bloß bei einem ziemlich peinlichen Mummenschanz richterliche Weisheit mimt.
In einer Welt, in der vielen Menschen selbst offensichtlich immer weniger klar ist, was eigentlich gut und was böse ist, gibt ein Richter, ein veritabler muss das schon sein, ein Gefühl von Sicherheit, wenigstens von Rechtssicherheit. Auch die Krimi-Flut hat offenbar mit der Faszination für dieses Thema zu tun, wobei Fernsehkrimis heutzutage dadurch zur Verunsicherung beitragen, dass sie nicht wie früher eindeutig das Gute und das Böse und den Guten und den Bösen markieren, sondern es gehört zum guten Ton für deutsche Krimi-Drehbuchschreiber, den Bösen ein bisschen sympathisch – schwere Kindheit mindestens – und den Guten wenigstens widerlich rechthaberisch darzustellen.
Doch in Wirklichkeit sind das alles ja bloß künstliche Inszenierungen. Das Gute und das Böse kommen in Spielfilmen gut gespielt vor, in Dokumentarfilmen gut dokumentiert und neuerdings in TV -Gerichtsshows spektakelhaft dramatisiert. Das Gute wird in Charity-Shows inszeniert, bei denen mitunter selbstverliebte Narzissten sich mit Hilfe des allgemeinen Voyeurismus auf Kosten der Ärmsten der Armen selber feiern, das Böse wird bei Fernsehverbrecherjagden ins Scheinwerferlicht gezerrt. Doch das wirklich Gute und das wirklich Böse kommen im Fernsehen überhaupt nicht vor. Jeder, der mal einem wirklichen Heiligen und einem wirklichen Verbrecher persönlich begegnet ist, kennt den Unterschied. Im Fernsehen begegnet man niemals guten oder bösen Menschen selbst.
Und auch Gott kommt übrigens im Fernsehen nicht vor. Gewiss gibt es da höchst spezielle Nischen, in denen die christlichen Kirchen höchst spezielle Angebote machen. Es gibt Fernsehgottesdienste, das sprichwörtliche Wort zum Sonntag und irgendwelche stark auf Nachdenklichkeit gebürsteten Sendungen, Reservate des lieben Gottes, die wie fremde Räume, um nicht zu sagen wie Friedhöfe, in den bunten Medienzirkus hineinragen. Und je »mediengerechter« die Medienberater der Kirchen diese Sendungen aufhübschen, umso mehr ähneln sie den sonstigen Kunstprodukten, die die Flimmerkiste zu bieten hat. Sie sind nicht selten von dem Kalkül getragen, was man denn wohl dem durchschnittlichen Fernsehzuschauer zumuten könne. Das Ergebnis ist der durch und durch harmlose liebe Gott fürs bürgerliche Wohnzimmer, der zahnlose Gott für alle Fälle, der für das Gute und gegen das Böse ist, für den Frieden und gegen den Krieg, ziemlich sicher auch für den Umweltschutz und gegen Atomkraftwerke, der aber dennoch alles irgendwie Missglückte natürlich total nett versteht und komplett verzeiht, ein heruntergekommener Gott also, vor dem niemand wirklich Ehrfurcht haben kann und gegen den auch niemand mit Verve rebellieren würde. Solche Fernsehadaptionen lassen nicht einmal mehr so etwas wie eine Ahnung oder eine Sehnsucht nach dem wahren Gott aufkommen, nach dem allmächtigen Schöpfer der ganzen Welt, nach dem liebevollen und gnädigen Erlöser der Menschen, dem ultimativen Richter über Gute und Böse. Ein solcher lebendiger Gott sprengt die banale Mattscheibe, auf die man auch ihn zu bannen versucht. Gott, der wirkliche Gott, wenn es ihn denn gibt, kann im Fernsehen gar nicht vorkommen.
Erst also wenn man das Fernsehen ausgeschaltet hat, kann man sich vielleicht eine Stunde später in einen realen Menschen verlieben, kann man eine gute oder eine böse Tat wirklich tun oder erleben oder sogar zu Gott finden.
Weil die existenziellen Erlebnisse im Fernsehen nicht vorkommen, aber das Fernsehen für viele als die eigentliche Wirklichkeit erscheint, wirken existenzielle Erlebnisse, wenn man sie im wirklichen Leben tatsächlich erlebt, manchmal dann irgendwie unwirklich.
Kann ich dem treuherzigen Augenaufschlag dieser Frau wirklich trauen, der doch so ungelenk ist und eben gar nicht so wie im Film? Ist der Mensch, der da so gütig mit mir redet, wirklich gut und nicht auch so ein abgefeimter Betrüger, wie man sie in zahlreichen Krimis immer wieder sieht? Und Gott, den kann es offensichtlich allein deswegen schon nicht wirklich geben, weil der im Fernsehen noch nie einen Auftritt hatte außer in albernen Satiren als bemitleidenswerte bärtige Witzfigur. Dennoch ist es in Wahrheit genau umgekehrt. Nicht die reale Liebe und die reale Güte eines Menschen oder die Existenz Gottes müssen sich vor der
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