BLUFF!
einem Fall hat man früher gesagt: »Schuster bleib bei deinen Leisten!« Und das trifft manchmal auch heute zu. Nicht dass der Aufstieg immer gefährlich ist, denn es gibt Menschen, die erst in der Abteilungsleitertätigkeit zu richtiger Form auflaufen. Jeder Mensch ist eben anders. Doch wie die Lektüre psychologischer Bücher manchen Leser unglücklich macht, in denen der angeblich hochkompetente Autor allen Lesern ein Ideal vorgaukelt, das nur für ganz wenige erreichbar und daher vielleicht empfehlenswert sein mag, so ist auch der selbstgemachte Druck, Dinge leisten zu wollen, die man nun einmal nicht leisten kann, eine Anleitung zum Unglücklichsein. Das gilt nicht bloß für Berufsentscheidungen, sondern für alle existenziellen Entschlüsse, wie zum Beispiel auch für Beziehungsentscheidungen, die stets höchstpersönlich sind und bei denen man sich besser bei einem lebensweisen Freund Rat holen sollte als bei einem jungen gut ausgebildeten Psychotherapeuten, der noch nie den Beruf gewechselt hat und dessen eigene Partnerschaft sich in einer rätselhaften Dauerkrise befindet.
Existenzielle Krisen können erheblich belastender sein als eine krankhafte psychische Störung. Wenn eine Frau von ihrem Partner verlassen wird, dann kann sie das in tiefe Verzweiflung stürzen. Doch das ist nicht krank, sondern völlig normal – es sei denn vielleicht, der Mann war ein wirklicher Kotzbrocken. Die eilfertige Pathologisierung des Lebens ist eine Fälschung der Welt, in der wir leben und in der sich jeden Tag irgendwo furchtbare veritable Tragödien zutragen. Das alles in psychologisches Wohlgefallen aufzulösen wäre im Übrigen auch das Ende der Literatur. Dann hätte man womöglich Antigones Tragödie verhindert, indem man ihr ein paar Antidepressiva verabreicht hätte.
Wahrscheinlich könnte manch ein guter Romanautor in existenziellen Lebenskrisen besseren Rat geben als ein nur an kranken Fällen geschulter Psychotherapeut. Und sogar für gute Psychotherapie kann es empfehlenswert sein, sich nützliche Ideen nicht bloß von irgendwelchen »Psychos« zu holen, die vielleicht manchmal zu sehr auf Krankhaftes schauen und nicht daran gewöhnt sind, die Fähigkeiten von jemandem in den Blick zu nehmen und intelligente Auswege aus Sackgassen zu suchen. Paul Watzlawick meint, empfehlenswerte Ratgeber seien da »Barmänner, spontan remittierte Neurotiker, Vertreter, Ladendetektive, Finanzberater, Lehrer, Bewährungshelfer, Linienpiloten, Polizisten mit einem Talent für die Entschärfung brisanter Situationen, einige eher charmante Gauner, erfolglose Selbstmörder«. Und als Steve de Shazer, der faszinierende Verfechter eines konsequent lösungsorientierten Ansatzes, gefragt wurde, wie man seine Methode am besten lernen könne, antwortete er grinsend: »Erst mal drei Jahre keinerlei Kontakt mit Psychoexperten. In dieser Zeit am besten ein Praktikum bei einem Gärtner, Gärtner wissen, wie etwas wächst, und vielleicht auch bei einem Barkeeper, so jemand hat Menschenkenntnis. Und dann kommen Sie zu mir …«
Eines Tages fragte ich ihn, den großen Künstler der kooperativen Wertschätzung des Patienten und der wohlformulierten therapeutischen Komplimente, wie er seiner Frau, der Therapeutin Insoo Kim Berg, noch echte Wertschätzung und Liebe zeigen könne. Er überlegte ganz kurz, und dann sagte er lächelnd: »Nichts sagen, sie liebevoll anschauen und ihr einen Blumenstrauß schenken.«
Nicht all die psychologischen Kunstwelten sind die wahre Welt, es sind bloß mehr oder weniger nützliche Fälschungen, die manche Menschen mit dem wahren Leben verwechseln. Die Welt da draußen ist die eigentliche Welt, in die wir geboren werden, in der wir existenzielle Erfahrungen machen, Erfahrungen von Glück und Verzweiflung, Enttäuschung und Liebe, Sehnsucht und Erfüllung, und in der wir alle irgendwann sterben, jeder für sich.
3. Agenturen des Irrtums –
Glanz und Elend der Medien oder ein Hauch von Welt
D ie »Truman-Show« ist das totale Medienereignis. Alles dort ist künstlich, und alle sind zugeschaltet. Nichts ist echt, noch nicht mal der Sonnenaufgang und der Sonnenuntergang. Doch die inszenierten Ereignisse im Leben des Truman Burbank sind für die Zuschauer offensichtlich realer und wichtiger als die wirklichen Ereignisse im eigenen Leben und der reale Mensch, der zufällig gerade neben ihnen sitzt. Es ist erst der gemeinsame Blick in die »Truman-Show« auf dem Fernsehschirm, der Gemeinschaft zwischen den
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