BLUFF!
zwischen Kunst und Realität beherrschten auch die Maler. Als Tizian im Jahre 1545 Papst Paul III . porträtierte, war er längst ein berühmter Mann, der schon viele Herrscher gemalt hatte. Und nur er, der Malerfürst, konnte sich etwas Unerhörtes leisten, was wohl jedem anderen zum Verhängnis geworden wäre. Er hatte sich am Hof des Papstes eine gewisse Zeit aufgehalten und auch des Papstes mächtige Nepoten kennengelernt. Besser wohl, als die es gut finden konnten. Denn als der Malerfürst das langersehnte berühmte Porträt des Farnesepapstes beendet hatte, da konnten alle neben dem misstrauisch schauenden greisen Papst seine beiden Nepoten rechts und links abgebildet sehen, und zwar den einen mit einem so verschlagenen und den anderen mit einem so kühlen Blick, dass man das nur als kaum versteckte Verdächtigung der beiden betrachten konnte. Und tatsächlich, wenig später verrieten diese machtlüsternen Männer ihren päpstlichen Verwandten. Der Papst aber konnte den Anschlag abwehren. Hier weigerte sich der Künstler, durch Schmeichelei zu fälschen, und dadurch zeigte sich die wahre Welt für einen Moment – in der Kunst.
Freilich ist es auch im Umgang mit Kunst wichtig, letztlich dann doch Fiktion und Wirklichkeit auseinanderhalten zu können. Bei klassischen Werken der Weltliteratur wie der 1516 erschienenen »Utopia« des Thomas Morus war das noch leicht, denn da lieferte bereits der Titel den Hinweis auf das Irreale der dort gezeichneten Welt. Solcher Utopien gab es zahlreiche, und sie versuchten, Gefährdungen und Hoffnungen einer Zeit in phantasierten Welten Gestalt werden zu lassen, um Wege zu weisen und vor Sackgassen zu warnen. Sie waren eine Lektüre für kritische Geister, aber niemand wurde dadurch wirklich vom mühevollen Alltag abgelenkt.
Auch die Erzählung »Gullivers Reisen« von Jonathan Swift, die 1726 erschien, war so ein Ausblick in eine phantasierte Welt. Diese konstruierten Welten waren keine Fluchtwelten, sondern im Gegenteil, sie wollten mit der Kraft des Geistes die wirkliche Welt zum Besseren verändern. Und es blieb den Lesern immer klar, was Utopie und was Realität war.
Wenn aber der Unterschied zwischen ausgedachter und wirklicher Welt verschwimmt und wenn man den Versuch macht, solche in Büchern beschriebenen ausgedachten Welten mit Gewalt in die Wirklichkeit umzusetzen, dann kann es passieren, dass sie sich unversehens in die Hölle auf Erden verwandeln. Der real existierende Sozialismus war so eine mit militärischen und geheimdienstlichen Mitteln aufrechterhaltene Fälschung der Welt, einer Welt, die nicht von einer Pappwand begrenzt wurde, wie die Welt des Truman Burbank, sondern von einer Betonmauer in Berlin und von Mauern und Stacheldraht anderswo auf der Welt. Doch diese Fälschung war so plump, dass sie von jedem entlarvt werden konnte. Und so erzählen gerade Menschen, die in so einem totalitären Regime leben mussten, dass zwar öffentlich alles bis ins Groteske gefälscht war, dass man daneben aber in einer existenziellen echten Welt lebte, mit wirklichen Freunden, mit echtem Vertrauen, mit realen Gefühlen. In dieser echten Welt verliebte man sich, unterschied wirklich gute und wirklich böse Taten und lebte aus einem tiefen Gefühl für den Sinn des Lebens. Die »Wende« hat dann für manche dieser Menschen zwar die gefälschte Welt mit einem Windstoß weggeweht, aber auch die echte Welt durcheinandergewirbelt, die darunter verborgen lag. Und manches an der schwer verständlichen DDR -Nostalgie mag damit zu tun haben, dass die Fälschungen, in denen wir alle heutzutage in Ost und West unvermeidlich leben müssen, weniger plump sind, so dass man sich davon nicht so klar distanzieren kann wie von dem himmelschreienden Unrechtsregime der Bonzen. Wenn aber nicht mehr klar ist, was falsch ist oder gefälscht, dann kann auch unklar werden, was wahr und echt ist, und das ganze Leben wird unsicherer.
Bekanntlich wird dem, was zwischen zwei Buchdeckeln steht, immer schon eine besondere Autorität zugesprochen, und wenn etwas so abläuft, »wie es im Buche steht«, dann soll das heißen, das sei nun ohne jeden Zweifel richtig und wahr. Bei der Flut an neuen Büchern ist es kein Wunder, dass wohl in den vergangenen Jahren schon jeder Unsinn in irgendeinem Buch behauptet worden ist. Aber diese mehr oder weniger dreisten Fälschungen der Welt prägen das Leben mancher Leser bis heute.
Da gibt es wenig heiligmäßige Gestalten, die sich mit Ausdauer über Tugenden
Weitere Kostenlose Bücher