BLUFF!
zuschauenden Menschen herstellt. Und auf diese Weise fiebern alle, wirklich alle, rund um den Erdball, Tag für Tag mit Truman Burbank mit. Die »Truman-Show« erreicht es, dass sich alle mit allen dauerhaft verbunden fühlen. Mehr Medienerfolg geht nicht. Doch im Kern sind diese Inszenierung und ihre Folgen menschenverachtend, denn sie nehmen Truman Burbank, aber auch seinen Mitspielern und Zuschauern, das eigene Leben und die wirkliche Welt.
a) Die Kiste, die die Welt bedeutet
Gewiss, die »Truman-Show« treibt die Sache auf die Spitze. Doch ist es nicht heute bereits so, dass die Mitspieler bei der Soap-Opera im Fernsehen, etwa die Bewohner der »Lindenstraße« für manche Dauerzuschauer mehr Realität haben als die wirklichen eigenen Angehörigen und die wirklichen Nachbarn? Die Leute aus dem Fernsehen gehören sozusagen zur eigenen Familie, sie bewohnen das eigene Leben und sind Adressaten aller Wünsche und Sehnsüchte. Manch einer fiebert den ganzen Tag über »seiner« Serie entgegen. Termine mit realen Menschen zu diesen Zeiten sind völlig ausgeschlossen, und er ist noch lange nach der Sendung wirklich traurig, wenn seiner Lieblingsakteurin in der heutigen Folge etwas Schreckliches zugestoßen ist. Und so ist psychologisch die Welt, in der viele Menschen leben, vor allem die Fernsehwelt.
Natürlich sind Soap-Operas billige und eigentlich harmlose Fälschungen der Realität, und wer so etwas nur gelegentlich zur Unterhaltung sieht, wird gewiss keinen Schaden nehmen. Doch man unterschätze nicht die starke Wirkung des Fernsehens. Die Wissenschaftswelt und die Psychowelt, von denen schon die Rede war, haben sicher großen Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, doch beide Welten kann man weder sehen noch hören.
Die Fernsehwelt aber sieht und hört man buchstäblich, sie ist eine Welt mit allen Details, die nach landläufiger Auffassung zu einer Welt gehören, und das gibt ihr viel mehr Realitätsmacht. Wissenschaftliche Erkenntnisse kann man bezweifeln, psychologischen Deutungen mag man sich entziehen, aber eine Meldung in der Tagesschau hat die Aura unbezweifelbarer Realität.
Schon bevor das Fernsehen die Macht übernahm, hat die legendäre Radiosendung »Krieg der Welten« von Orson Welles gezeigt, dass Menschen beunruhigend schnell bereit sind, alles, was in solchen Medien berichtet wird, für bare Münze zu nehmen. Orson Welles hatte am 30. Oktober 1938 eine dramatische Radiogeschichte über die Landung von Außerirdischen in den USA gemacht, und obwohl in regelmäßigen Abständen immer wieder die Ansage kam, das sei bloß eine Radiosendung, das sei nicht real, erzählte man sich, dass viele Amerikaner an der Ostküste panikartig die Städte verlassen hätten, um Schutz zu suchen. Diese Geschichte hat den jungen Orson Welles mit einem Schlag berühmt gemacht. Aber sie zeigte bereits warnend, wie enorm beeinflussbar und manipulierbar Menschen durch solche Medien sind, so dass sie am Ende gar nicht mehr wissen, ob sie eigentlich im falschen oder im richtigen Film leben.
Das deutsche Fernsehen landete einen vergleichbaren, aber ungleich beunruhigenderen Coup, als in der Sendung »Das Millionenspiel«, die am 18. Oktober 1970 ausgestrahlt wurde, ein Mensch scheinbar buchstäblich um sein Leben spielte. Die fiktive Geschichte zeigte einen Kandidaten, der, um eine Million Mark zu gewinnen, sich von einer veritablen Mörderbande verfolgen ließ, sein Leben aufs Spiel setzte und – angeschossen – die Million gewann. Es war kaum zu glauben, dass auch diese menschenverachtende Fiktion, weil sie ja im Fernsehen – nach der Tagesschau – kam, von vielen ohne weiteres für wahr gehalten wurde.
Ähnlich erging es dem holländischen Fernsehen, das in einer Sendung zur Förderung von Organspenden Menschen vor laufender Kamera um ein Spenderorgan wetteifern ließ. Der Gewinner sollte das Organ bekommen. Erst nach der Sendung teilte man mit, dass das Ganze »natürlich« bloß fiktiv gewesen sei, nie habe man so etwas Menschenverachtendes im Ernst vorgehabt. Erschreckend blieb, dass Zuschauer dennoch ganz selbstverständlich davon ausgegangen waren, dass das alles schon seine Richtigkeit haben musste.
Amüsant war dagegen ein amerikanischer »Dokumentarfilm«, der mit der Enthüllung aufwartete, die Mondlandung 1969 habe in Wahrheit gar nicht stattgefunden und die amerikanische Regierung habe unter strengster Geheimhaltung den bekannten Regisseur Stanley Kubrick gebeten, das Ganze im
Weitere Kostenlose Bücher