Blumenfresser
wurde vom Doktor unterstützt. Es gelang ihm, einen Aufseher zu schmieren, sie bekamen ein Zimmer für sich. Der Duftwar der alte, Klaras Gesicht war fremd. Er zerrte ihr die Kleider herunter, sein Speichel nässte ihre Brust, er sah, dass ihr vor Ekel die Haut zitterte. Dann fuhr sie heim und schrieb ihm ein Jahr lang keinen Brief mehr. Schließlich wusste er selbst nicht mehr, ob er ihren Besuch nicht etwa geträumt hatte. Im Jahr 55 wurden viele begraben, viele erkrankten. Er wunderte sich, dass er nicht verrückt wurde, kicherte vor sich hin, er war nicht verrückt geworden. Er brach in schrilles Gelächter aus, sie legten ihn aufs Bett, deckten ihn zu, hielten seinen Arm, er spuckte sie an. Ein geschlagenes Jahr hatte er keinen Brief bekommen. Das Kind schickte keine Zeichnungen mehr. Ein Jahr hindurch dachte er jeden Tag daran, wachte mit der Hoffnung auf, dass heute irgendeine Botschaft eintreffen würde. Wenn Klara nicht mehr schrieb, dann … Es gab kein dann. Dann schrieb sie morgen. Er konnte gar nicht verstehen, wie er das aushielt. Vielleicht, weil Herr Schütz hin und wieder anstelle Klaras schrieb und von den Bauarbeiten in Szeged berichtete, es würden Häuser errichtet, bei deren Anblick Imre Mund und Nase aufsperren würde. Auch die Zigeuner lebten. Gilagóg sei wieder Vater geworden, er ziehe Zwillinge auf.
Wie es vorübergehen, wie es ein Ende haben konnte, ließ sich mit gesundem Verstand nicht begreifen. Im Frühling 1857 kam er frei, es wurde ihm einen Tag vorher gesagt, er konnte sich nicht darauf vorbereiten.
Als er durch das Gefängnistor trat, blickte er nicht zurück. Sogar an der Straßenbiegung, wo er einen Abschiedsblick auf das düstere Gebäude hätte werfen können, wandte er sich nicht um. Er hätte ohnehin nichts gesehen.
Der Gott der Deutschen, der Juden, der Ungarn und der Zigeuner
Einige Familien besaßen bereits einen Wagen, sie erledigten ihre Geschäfte gewöhnlich mit einer einzigen vor den Bock gespannten Mähre, sammelten in der Stadt Gerümpel und Abfälle und häuften an, was sie brauchen konnten. Es gab Schmiede und Kesselflicker unter ihnen, und eine Witwe, die manchmal zu Gilagóg ins Bett schlüpfte, handelte mit Federn. Der Woiwode, der kein Woiwode mehr war, hatte seinen eigenen Wagen und sein Pferd schon vor Jahren verkauft, es gab bereits einen Ort, wo sie bleiben konnten. Am Grabenrand standen einige windschiefe Hütten, die sie aus Lehm errichtet hatten, auf der Erde markierten schwarze Flecken die Feuerstellen. Das Herumkarren interessierte Gilagóg nicht, und seine Leute legten ihm so viel vor die Schwelle, wie er für den Alltag brauchte. Er war nicht mehr Woiwode, er war gar nichts mehr. Seine Tochter hatte ihn verlassen, sein Hund war erschossen worden, er hatte einen Wahrhaftigen und die fürchterlichen Zwillinge, die ihm die Zähne ins Fleisch schlugen und sich so wenig abschütteln ließen, als wären sie an ihm festgewachsen. Vielleicht bekam er deshalb täglich Wein und Brot und, wenn er das brauchte, Leinen, Wäsche und Tabak. Die Neuen, die neuen starken Männer, bedauerten ihn und fürchteten ihn immer noch ein wenig. Einige von ihnen waren fortgegangen, hatten sich davongemacht, sie waren Musikanten oder Wanderschausteller geworden oder hatten wegen eines Diebstahls oder einer Schlägerei ihr Bündel schnüren müssen. Der Stamm hatte sich seit seiner Ankunft mit den bereits ansässigen Zigeunern vermischt, auch ihre Lieder und ihre Geschichten vermischten sich und ihre Bälger. Auch die Alteingesessenen lernten Habred den Wahrhaftigen kennen, anfangs verhöhnten sie ihn, doch sie taten ihm nichts. Gilagóg band ihnen nicht auf die Nase, dass Habred in Wirklichkeit niemand und nichts war, nur eine Stimme, ohne die sie dennoch mit ihrer Weisheit am Ende wären.
Gebt mir Geld!
Gebt mir Geld!
Gilagóg saß neben dem Wahrhaftigen, hörte sein Ächzen und sog die Geschichten, die nur er verstand, in sich ein. Er konnte alles verstehen und alles erzählen, doch er wusste nie,was er erzählte. Und vor dieser Erkenntnis zitterte er. Die Zigeuner stritten und gerieten aneinander, als könnte man ohne Zwistigkeiten nicht leben. Jahr für Jahr stand einer von ihnen auf und versuchte, die anderen dazu zu bringen weiterzuwandern. Sie taten es nicht, denn vor dem Aufbruch zerstritten sie sich. In Wahrheit kommandierte bereits ein jüngerer Zigeuner, er war der Woiwode. Gilagóg war nichts. Er war nur einer von ihnen, doch er hatte einen Wahrhaftigen und
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